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Ein Gespräch mit Robert Lindner

„Versprechen zum größten Teil nicht eingehalten“

Vendredi, 3 décembre 2010 - 8h41 AM

Freitag 3. Dezember 2010

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Israel wollte die Blockade des Gazastreifens lockern – geschehen ist aber kaum etwas. Ein Gespräch mit Robert Lindner

Interview: Gitta Düperthal

Robert Lindner arbeitet für die Entwicklungsorganisation Oxfam, die mit Hilfs- und Menschenrechtsgruppen in besetzten palästinensischen Gebieten und in Israel kooperiert

Auf internationalen Druck hin hatte die israelische Regierung im Juni versprochen, ihre Blockade des Gazastreifens zu lockern. Doch am Dienstag haben 25 europäische Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen in einer gemeinsamen Erklärung kritisiert, daß sich die Not der Bevölkerung in Gaza kaum verringert hat. Welche Probleme gibt es nach wie vor?

Die israelische Regierung hatte nach der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Juni 2007 diese Blockade verhängt – sowohl an den Grenzen nach Israel als auch nach Ägypten. Nachdem sie vor fünf Monaten angekündigt hatte, die Blockade zumindest zu lockern, müssen Mitarbeiter der Hilfsorganisationen jedoch jetzt feststellen, daß die Versprechen erstens unzureichend sind und zweitens zum größten Teil nicht eingehalten wurden. Nach wie vor lassen Kontrolleure an den Grenzen viele Warentransporte für den täglichen Bedarf nicht nach Gaza hinein. Baumaterialien, Medikamente sowie Treibstoffe für das einzige Großkraftwerk in Gaza sind deshalb Mangelware. Für die Bevölkerung ist kein normales Leben möglich. Täglich gibt es Stromausfälle, medizinische Versorgung in Krankenhäusern ist nicht gewährleistet. Ausreisegenehmigungen für Bürger aus Gaza werden kaum oder nur willkürlich erteilt – besonders schlimm ist das für Patienten, die dringende Behandlungen benötigten. Seit Beginn der Blockade hat es deshalb sogar Todesfälle gegeben.

Welche Versprechen wurden konkret nicht eingehalten?

Israel hatte zugesagt, die Einfuhr von dringend benötigten Baumaterialien für internationale Projekte zu erleichtern. Beispielsweise sollte der Wiederaufbau von Schulen, Gesundheitszentren, Häusern und Kläranlagen ermöglicht werden, die während der israelischen Militäroperation »Gegossenes Blei« von Dezember 2008 bis Januar 2009 beschädigt oder zerstört wurden. Bislang hat Israel jedoch lediglich sieben Prozent des Wiederaufbauplans der UNO für Gaza genehmigt. Selbst bei diesen wenigen Projekten gab es nur einen Bruchteil der dafür benötigten Einfuhrgenehmigungen. Nach Schätzungen der UNO benötigt Gaza allein für die Häuser rund 670000 Lkw-Ladungen an Baumaterial – doch seit der Ankündigung, die Blockade lockern zu wollen, sind monatlich im Durchschnitt nur 715 im Gazastreifen eingetroffen. In diesem Tempo würde der Wiederaufbau Jahrzehnte dauern.

40000 Kinder konnten nicht eingeschult werden, weil das Material für den Bau neuer Schulen nicht geliefert werden konnte. Eine der wenigen positiven Entwicklungen: Geschäftsleute konnten häufiger die Grenzen passieren – Helfer der humanitären Organisationen hingegen weniger. Entscheidungen, wen man nach Gaza hineinläßt und wen nicht, sind von Willkür geprägt. Wir betrachten das Blockaderegime als illegale Kollektivstrafe der Bevölkerung.

Wie ist zu erklären, daß Israels Regierung sich in dieser Weise verhält – hat der internationale Druck nach der Ankündigung der Blockadelockerung zu stark nachgelassen?

Wir nehmen zwar zur Kenntnis, daß einzelne Politiker den Gazastreifen besuchen – und wie Außenminister Guido Westerwelle, FDP, Israel auffordern, die Blockade aufzuheben. Aber solche Verlautbarungen werden offenbar nicht ernst genommen; besonders die Europäische Union müßte sich stärker engagieren.

Warum passiert das Ihrer Meinung nach nicht?

An einem Informationsdefizit kann es nicht liegen. Wir Hilfsorganisationen zeichnen sehr genau auf, daß Israel an der Grenze zu Gaza nur wenige Waren passieren läßt – und welche Auswirkungen das hat. Es fehlt an politischem Willen. Die prekäre Lage der Menschen in Gaza hat bei den Bemühungen um die Lösung des Nahostkonflikts nicht oberste Priorität,

Wie ist die Stimmung der im Gazastreifen lebenden Menschen, und was fordern Sie konkret?

Die Menschen fühlen sich vernachlässigt und vergessen. Deshalb ist es wichtig, daß immer wieder Regierungsvertreter und Parlamentarier dorthin reisen und den politischen Druck verstärken. Zudem muß die Verbotsliste der angeblich militärisch nutzbaren Einfuhrgüter nach Gaza reduziert werden. Waren für eindeutig zivile Nutzung dürfen nicht darunter fallen.