Startseite > Rubriques > Languages - International > Deutsch > Was würde Deine Mutter dazu sagen?

Was würde Deine Mutter dazu sagen?

Entscheide, wo der größere Friedenswille sei ...!

Montag 22. August 2005

Was würde Deine Mutter dazu sagen?
Entscheide, wo der größere Friedenswille sei ...!

Lieber Anis,

ja, Syrien war ein großer Höhepunkt unserer Karawane. Das begann bereits an der Grenze der Türkei, an der Bab el Hawa, wo uns Tausende von Palästinensern und Syrer stürmisch begrüßten.

Im Flüchtlingslager bei Aleppo gab es dann Szenen, die nicht nur mir Tränen in die Augen trieben.
Das ganze Lager, Kind und Kegel, waren auf den Beinen um uns zu begrüßen. Ein Volksfest nicht gekannten Ausmaßes.
Endlich, so sagte mir einer, endlich kommt Ihr zu uns, endlich sind wir nicht mehr allein...

Bei Damaskus wurden wir in einer Schule und Universität der PLO für Kriegswaisen vorzüglich und mit unermesslicher Gastfreundschaft untergebracht. - Die Schule wird von Mahmud Abbas regelmäßig besucht und der Schulleiter, Ihsan Tawfiq SALHA, ein europäisch anmutender, sehr vornehmer ehemaliger Banker nahm uns mit einer Großzügigkeit auf, die mich beschämt. Der Mann durfte kürzlich, von Abbas als Berater eingeladen, nicht nach Palästina einreisen! Was für mich am schönsten war: durch nichts konnte ich auch nur den geringsten Unterschied in der Freude über unsere Karawane erkennen, seien es Syrer, seien es - in den großen Lagern - Palästinenser. Überall die gleiche Freude, Begeisterung, Solidarität....

Einer palästinensischen Rundfunkreporterin trieb es Tränen in die Augen. Auch hier und überall die gleichen Worte, wo nicht Worte, so
die sprechenden Augen: Endlich kommt Ihr zu uns !!! Nichts von falscher staatlicher Propaganda... überall war die Übereinstimmung aller
Menschen zu spühren, wenn es um Palästina ging. Das war bereits in der Türkei aufgefallen, wo Menschen spontan auf uns zukamen
um Ihre Solidarität zu zeigen. Was jedoch in Syrien auffiel, ist die offensichtliche Übereinstimmung des offiziellen Syriens mit den Palästinensern. Syrien hatte sich von Anfang an in seinem besten Licht gezeigt: Einreisevisa, wo nicht vorher beantragt. wurden formlos an der Grenze erteilt, die problemlose Rückreise aus Palästina, mit unseren Fahrzeugen bereits im Vorfeld zugesichert - und eingehalten. Über die Menschen Im Yarmouk Camp und den anderen Flüchtlingslagern kann ich nur sagen: selten waren mir Menschen, die ich niemals vorher gesehen hatte, so nahe, so geschwisterlich nahe. Noch heute, zuhause im „sommerlich kühlen“ Elsass, denke ich mit Zärtlichkeit an meine Begegnungen.

Alte, junge, Frauen, Männer, Kinder... sie werden mir oft fehlen in den kommenden Tagen und Wochen.... Alte, die mir mit Wehmut berichteten, wie sie, vor 1948 die notleidenden und bedürftigen jüdischen Flüchtlinge aus Europa aufnahmen, ihnen bei der Eingewöhnung halfen... um dann, wenige Wochen, Monate, Jahre später von eben jenen selbst aus den Häusern, den Dörfern, den Städten verjagt zu werden... Vor mir steht auch jene Kriegerwitwe, jetzt um die 60 (fast mein Alter), die, ihren Mann im 67er Krieg verloren, ihre umfangreiche Familie zu einer würdevollen Existenz brachte. Die wunderschöne Frau sprach kein Wort, ihre ruhigen Augen schauten mit Festigkeit und Stolz zu ihrer Familie, zu mir.--- dann kam sie wortlos auf mich zu und heftete mir einen Pin in den Farben Palästinas an das Hemd. Ich bedankte mich wortlos, Was sie nicht sehen konnte, dieses schöne „alte“ Frau: ihre Handlung hatte mir Gänsehaut über den Rücken getrieben. Aus Freude und Dankbarkeit.

Oder, da war da die schöne 24-jährige Khissab, Musikerin - French Horn - schön wie Arabien, die mich durch den mitternächtlichen Suk
führte. Ich konnte nicht anders, nahm sie bei der Hand und nannte sie meine Schwester. Nachts dann, ließ man mich nicht in unser
Schulprojekt zurück, ich teilte, auf kleinem Raum das Lager mit der Familie.... Wie groß kann Glück sein?

Dann das Erlebnis an der Allenby-Brücke, bei den Israelischen Einreisebehörden... Warum Israelische? Wollten wir nicht nach Palästina?
Warum nicht palästinensische Einreisebehörden...? Sei es drum, der Davidstern „schmückte“ schon, von der Brücke kommend, das Gebäude. So beginnt Annexion ! Wo Besatzung schon schlimm genug ist....

Stundenlanges Warten, sehr üble sanitäre Verhältnisse (in den armen Lagern in Damaskus hatte ich es anders erlebt), Ein Sharon-Epigone, „charming“ so gut es geht, versuchte mir zu erklären, warum er uns viel lieber so empfinge, wie ich es ihm für Frankfurt anbot, wenn nur, ja wenn..., sollte er jemals dorthin kommen (er war gebürtiger Deutscher) ... dann der dumme, gehirngewaschene Soldat, kaum 20, der mir zurief: „Don’t you have any other to do than to come here?“ um mir etwas später zu sagen: „But, you are a minority“, worauf ich ihm entgegnete, wie gern auch ich einerseits dies anders sehen würde andererseits er jedoch bitte beachten solle, dass es (ich hatte mich als Deutscher zu erkennen gegeben) zwischen 1933 und 1945 nicht auch „minorities“ gewesen seien, die sich für Juden in D. eingesetzt hätten... die Mehrheit hätte dies sicher nicht getan Worauf er, wie von einer Tarantel gestochen, davonlief....

Als wir dann, ca. 80 in der Halle - die anderen waren zur erwarteten Abfertigung am kommenden Tage mit Ihren Autos auf der Brücke
geblieben, waren also garnicht eingereist, was ihnen dann an den folgenden Tagen die Möglichkeit eröffnete, über eine andere Brücke,
weiter nördlich, doch noch nach Galiläa zu kommen - von unserem, vom Shin Beth veranlassten Ausweisungsbeschluss erfuhren, wurde uns bedeutet, "Israelischen (sic!) Boden in den kommenden 5 Jahren nicht betreten zu dürfen. Dabei wollten wir doch garnicht dorthin sondern nach Palästina!

Wir entschlossen uns spontan, der Aufforderung unserer spanischen Caravaniera, Anna-Maria, einer Menschenrechtsanwältin, die auf dem Boden liegend einen Artikel der Menschenrechtskonvention ausrief, zu folgen und eine friedliche Sitzblockade zu bilden.
Dann wurde, in einer blitzschnellen Aktion einem von uns von den Wachen die teure Digitalkamera aus der Hand gerissen, beschädigt, konfisziert. Daraufhin wurde uns bedeutet, innerhalb von 10 Minuten sei eine Einheit von Soldaten bereit, uns gewaltsam aus dem Gebäude zu entfernen. Die 10 Minuten waren dann aber doch wohl etwas kürzer und eine Hundertschaft einer Schlägertruppe griff sofort sehr brutal, mit Handschlägen, Fußtritten ein.

Wir wurden sprichwörtlich zusammengepresst und in die Türen eines Busses gequetscht, wo wie man eine Gans mästet.... Einer unserer Jüngsten (12) wurde der Arm so verdreht, dass er anschließend voller Blutergüsse war, einem von uns wurde das Hemd zerrissen, einem anderen ein Muttermal am Rücken aufgerissen, sodass er notärztlich versorgt werden musste. Als einer der Soldaten im Begriff war, unsere Freundin J. rüde anzufassen, fiel mir in der Not nichts dümmeres ein als, befehlsmäßig ausgerufen „Don’t touch this jewish lady“, ein rassistischer Ausruf, für den ich mich nachträglich schäme, denn wo ist der Unterschied, ob meiner jüdischen oder meiner nichtjüdischen Freundin übel mitgespielt wird ?
Die Wirkung aber war überraschend unmittelbar: der Uniformierte wich zurück. Mich stimmt dieser nicht beachtete Vorfall im Nachhinein nachdenklich.

Der gleich junge Israeli, der zuvor mit mir „geredet“ hatte, stand nun, mit zwei anderen Gleichaltrigen lachend und kichernd dabei. Auch mein Wort: „Was würde Deine Mutter dazu sagen?“ berührten ihn keinesfalls. Ein armseliger Gehirngewaschener von jahrelanger Hasspropaganda des israelischen Staates gegenüber Palästinensern.

Unsere Reisepässe, alle einheitlich mit dem doppelten Stempel „ENTRY DENIED“, erhielten wir erst später zurück. Dieser Stempel „schmückt“ nun meinen weinroten Europa-Pass mit Bundesadler, in dem 2 Seiten vorher das freundliche syrische Visum, gratis und 3 Monate lang gültig, zu finden ist.
Entscheide wer will, wo der größere Friedenswille zu finden sei....

Noch während der Abschiebung lud uns der palästinensische Leiter des Bildungsprojektes für Kriegswaisen bei Damaskus ein, wir seien seine lieben Gäste, so lang wir wollten, wann er uns denn an der jordanisch-syrischen Grenze erwarten dürfe...
Ich versprach im unsere Ankunft für den übernächsten Tag...

Die Jordanier hatten, anders als die Syrier, ihre eigenen Probleme mit uns Abgeschobenen: Schon auf der Durchreise war uns die Fahrt nach Amman verwehrt worden. Man wollte uns offensichtlich nicht in der Hauptstadt des Wüstenstaates. Zwar wurden wir, ordentlich genug, im Militärstreifen hinter der Grenze zum Jordantal hin „untergebracht“, immerhin „gut beschützt“, rund um die Uhr, jedoch hatten Schnüffler unter Ihnen mitbekommen, dass wir vorhatten, am kommenden Tag in Amman vor der Israelischen Botschaft eine Schweigedemo abzuhalten. Das war dann wohl für die jordanischen „Befehlsempfänger“ der Israeli zu viel... Man eskortierte uns, entgegen unserem Wunsch, in andere Richtung... nach Madaba, was uns jedoch nicht davon abhalten konnte, doch noch die deutsche und die französische Botschaft zu erreichen.

Eine kleine Anmerkung: der deutsche Botschafter in Amman gab mir kurzfristig einen Termin für unsere kleine deutsche. „Delegation“ für 16;:30, weit außerhalb der Öffnungszeit an diesem Donnerstag. Eine noble Geste. Er wird seinen Bericht an das AA, seinen Kollegen Dressler in Tel- Aviv, sowie nach Ramallah senden. Die Angelegenheit wird zudem auf die Tagesordnung der kommenden EU-Inter-Group der Botschafter in Amman gesetzt. Ähnliches bei der Botschaft Frankreichs, von wo eine Depesche an den französischen Staatspräsidenten zugesagt wurde.

Der Empfang an der jordanisch-syrischen Grenze, am kommenden Tag war erneut ebenso warmherzig wie zahlreich. Die Medien, auch FS und Funk waren da, ebenso unsere zuverlässigen Gewährsleute, die opferbereite palästinensische. Journalistin Nemat, der hilfsbereite Abu Jussef,, der verlässliche Mamoun Tello, „unser“ Schuldirektor der PLO-Universität Ihsan Salha, , sie alle waren die weit über 200 km. an die Grenze entgegengekommen, hatten einen Bus bereitgestellt, um den ich am Vortag am Telefon gebeten hatte... kurz, keine Mühe war ihnen zu viel gewesen, um uns nach dem, was an der Allenby-Brücke geschehen war, gut aufzunehmen. Auch jetzt wieder von überall die Worte: nie hat für uns Palästinenser jemand das getan, was Ihr getan habt....

Eine große Pressekonferenz mit zahlreichen Kameras und Mikrophonen gab uns am kommenden Tag Gelegenheit zu unserem Resümee.
Ganz besonders erfreulich war die allzeitige Anwesenheit von Al-Jazeera, von syrischen und palästinensischen Medien. von deutschen Medien keine Spur - trotz vorheriger Ankündigung - der Reuters-Reporter, den ich bei der ersten Einreise am Bab el Hawa ausmachte, hatte sich keiner weiteren Mühe zu einem Interview unterworfen. Verständlich, schließlich war er von Beginn an tatenlos geblieben - gab es eine Anweisung aus London, vielleicht auch aus Tel Aviv?

Für den israelischen Staatsapparat waren wir, die Friedvollen, ohne Waffen, ja sogar ohne das kleinste „Schweizer Offiziersmesser“ im
Gepäck, eine Gefahr. Freundschaft als Gefahr für einen Staat ? Für die Palästinenser in den Lagern waren und wurden wir zu einem hell leuchtenden Hoffnungsschein.

Eine besondere Ehre erwiesen uns die Syrer, indem sie uns am kommenden Tag in den sonst gesperrten Golan, (gemeint ist der
durch UNO-Intervention bereits nach 1967 befreite Golan) fuhren. Wir konnten sehen, wie alle strategischen Stellen und Hügel, auch weite fruchtbare Flächen weiterhin von Israel besetzt, in dessen Sprache annektiert blieb. Am beeindruckendsten jedoch ist die
Stadt Kuneitra, von Israel aus Wut über den von den UN erzwungenen Rückzug Haus für Haus, Kirche um Moschee, Krankenhaus um
Schule zerstört. Kein Lebenszeichen sollte weiterhin Zeugnis ablegen von jahrhundertelanger syrischer urbaner Existenz.
Mutwillig zerstört, vermint, So ist Kuneitra ein bleibendes Symbol zionistischen Hasses auf alles Fremde...auf alles, was dem eigenen
Staat entgegensteht.

Insofern: ein Erfolg für die Karawane für Palästina - Karawane des Rechts.. Denn das Signal wurde von den Palästinensern, diesseits und jenseits des Jordan, aufgenommen.

Günter Schenk

P.S. irgendwer hatte sich, völlig zu Unrecht, daran gestört, dass wir das Rückkehrrecht der Palästinenser nicht explizit genannt hätten.
Das ist natürlich falsch, Alle Palästinenser konnten an unserem Hals den symbolischen Schlüssel des Rückkehrrechtes sehen. aus Olivenholz geschnitzt: in Bethlehem.. Und Karawane des Rechts heißt auch: Karawane des Rechts auf Rückkehr.