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Rede von Michel Flament in Stuttgart, 25. sept 2004

Sonntag 10. Oktober 2004

Rede von Michel Flament, Coordination de l’Appel de Strasbourg, auf der Kundgebung am Samstag, 25. September 2004, in Stuttgart
anlässlich des vierten Jahrestag der palästinensischen Intifada

Sehr geehrte Damen und Herrn, liebe Freunde,

unsere Anwesenheit heute, in Stuttgart, an ihrer Seite ist keine einmalige
Demonstration der Solidarität. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer seit
langem gemeinsam ins Leben gerufenen Aktion, die sich in den letzen Monaten
in einer Serie von namhaften, internationalen Veranstaltungen manifestierte,
die zu einem neuen gemeinsamen Bewusstsein geführt haben. Die Mehrheit der
Medien hat ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt oder sie bewusst übersehen.

Im Angesicht dieser Situation stimme ich in den Protest meiner Vorredner ein
und werde im Namen folgender Organisationen sprechen:

- den «Campagnes Civiles internationales pour la protection du Peuple
palestinien»,der „Zivilen, internationalen Kampagnen zum Schutz des
palästinensischen Volkes“, die seit 3 Jahren mehr als 3000 europäische
Bürger ins besetzte Palästina geschickt haben, damit sie sich vor Ort ein
Bild der erschreckenden Wirklichkeit machen können, und um vor dem
Hintergrund der einseitigen Medienberichterstattung nach ihrer Rückkehr
davon Berichten zu können.

- Im Namen des «Collectif judéo-arabe et citoyen pour la paix», der
jüdisch-arabischen Bürgerbewegung für den Frieden, die seit drei Jahren,
französische Bürger aller Konfessionen, insbesondere, wie der Name besagt,
jüdischen und muslimischen Glaubens, im gemeinsamen Kampf für die Wahrheit
vereint.

- Im Namen der «Coordination de l’Appel de Strasbourg», dem
Koordinationskommitte des „Aufrufs von Straßburg“, welches aus 451
Organisationen und Persönlichkeiten aus 17 Ländern der Europäischen Union
besteht, und das sich im Rahmen einer öffentlichen Zusammenkunft für eine
konkrete und positive Aktion mit dem europäischen Parlament entschieden hat.

- Im Namen von Delegationen aus 8 europäischen Ländern (Belgien, Dänemark,
Spanien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und der
Bundesrepublik Deutschland), die letzte Woche, am 14.und 15. September, im
europäischen Parlament in Straßburg in zwei intensiven Arbeitstagen zusammen
mit Parlamentariern eine „interaktive Partnerschaft“ ins Leben gerufen
haben, die seit letztem Montag, dem 20. September, aktiv ist. Es ist das
Ergebnis dessen, was die 451 Unterzeichner des „Aufrufs von Straßburg“ am
12. Juni gewünscht hatten und die schnelle Umsetzung unterstreicht die
reelle Notwendigkeit, die von beiden Seiten her bestand.

Warum haben wir uns dazu entschieden uns klar und deutlich zu Wort zu
melden?

Weil, und zu diesem Ergebnis muss man unweigerlich kommen, es essentiell für
die Zukunft der Demokratie, für die Zukunft unserer Kinder und für die
Aufrichtigkeit uns selbst gegenüber ist, sich für die Beendigung dieser
rechtsfreien Situationen, wie sie gegenwärtig die Oberhand gewinnen,
einzusetzen. Und das, was sich augenblicklich im besetzten Palästina
abspielt, ist dafür nur das offenkundigste Beispiel.

Es kann nicht mehr hingenommen werden, dass internationales Recht auf diese
Weise verhöhnt wird,

es kann nicht mehr hingenommen werden, dass die Genfer Konvention - zum
Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten - mit Füssen getreten wird,

es kann nicht mehr hingenommen werden, dass die Resolutionen der Vereinten
Nationen völlig ignoriert werden,

es kann nicht mehr hingenommen werden, dass die Entscheidungen des
europäischen Parlamentes schlicht und einfach von einem Ministerrat
hinweggefegt werden, der sich anmaßt, über den Entscheidungen der Vertreter
der europäischen Bürger zu stehen.

es kann nicht mehr hingenommen werden, dass die Entscheidungen des
Internationalen Gerichtshofes, zusätzlich gestützt durch eine Abstimmung der
Vereinten Nationen, welche die Angebrachtheit der Beschreibungen des
Gerichtshofes bestätigt, ohne Folgen bleibt.

Und wer kann all diese nicht mehr hinnehmen?

Es sind die Institutionen, die obwohl demokratisch gewählt, feststellen
müssen, dass Ihre Ansichten, Empfehlungen oder Entscheidungen in keiner
Weise beachtet werden. Sie wenden sich deswegen an ihre Basis, die Wähler
und die Vertreter der Zivilgesellschaft, damit diese ihren Forderungen
Nachdruck verleihen.

Es ist die Zivilgesellschaft selbst, die wir hier alle repräsentieren, und
die mit ihren 700 Verbänden, Nichtregierungsorganisationen und anderen
Strukturen eine große Mehrheit der europäischen Bürger vereinigt, Bürger die
es leid sind, ohnmächtig mit anzusehen, wie elementare Werte, denen sie sich
unmittelbar verbünden fühlen, missachtet werden.

Diese Zivilgesellschaft kam, während wir letzte Woche zusammen mit dem
europäischen Parlament gearbeitet haben, zur gleichen Zeit auf Initiative
der Vereinten Nationen am 13. und 14. September in New York zusammen. Hier
sollte ausgelotet werden, welche Rolle die Zivilgesellschaft spielen könnte,
um das palästinensische und israelische Volk aus der Sackgasse
herauszuführen, in der sie sich gegenwärtig befinden: Sowohl das
palästinensische Volk würdig und sich wehrend unter der ständigen, seit
Jahrzehnten andauernden Besetzung als auch das israelische Volk, das - mit
der Verantwortung für eine Regierung, die anstatt grundliegender Rechte nur
Gewalt kennt - mehr und mehr unter dem unendlichen Konflikt leidet.

Zur gleichen Zeit, vom 17. bis zum 19. September, kamen in Beirut im Libanon
Vertreter der Zivilgesellschaft aus 54 Staaten aller Kontinente zu einer
internationalen Konferenz zusammen. In Ihrer Schlusserklärung haben sie sich
für die uneingeschränkte Unterstützung des palästinensischen Volkes in
seinem Widerstand gegen die todbringende und durchweg illegale Besatzung
ausgesprochen. Dabei haben sie den Wunsch ausgedrückt, dass wir all unsere
Kräfte sammeln, damit schließlich wieder das Recht respektiert wird.

Diese Gleichzeitigkeit von internationalen Veranstaltungen, konzertierten
Aktionen und Zusammenkünften ist keineswegs zufällig. Sie ist das Echo einer
weit verbreiteten Verbitterung gegenüber dem skrupellosen und auf Gewalt
beruhendem Handeln einiger Staaten auf Kosten von gequälten, gedemütigten,
verschleppten und auf ihrem eigenen Territorium misshandelten Völkern.

Unser wichtigstes Mittel, mit nicht zu verachtender Stärke, ist der dauernde
und unablässige Appell an eine Rückkehr zum Recht. Des weiteren verleihen
uns unsere große Zahl und unsere Repräsentativität Kraft.

Unserem Aufruf zur Einhaltung des Rechts, der unser wichtigstes Ziel sein
muss, kann sich niemand glaubhaft entgegenstellen. Nicht ohne Grund hat
letzten Dienstag vor den Vereinten Nationen ihr Generalsekretär Kofi Annan
in einer kurzen aber bedeutenden Rede die gegenwärtige Vollversammlung
eröffnet, in dem er auf die Gefahr für den Rechtsstaat hinwies und eindeutig
klarstellte, dass Recht über Macht steht und nicht umgekehrt.

Die Abgeordneten unserer Parlamente, ob national oder international, werden
sich immer mehr dieser Situation bewusst aber auch der Schwächung ihrer
Rolle als Repräsentanten der Völker. Genau aus diesem Grund fordern einige
von ihnen, und es werden immer mehr, wir sehen sie täglich, eine immer
stärker werdende Mobilisierung unsererseits, um unablässig mit unserer
Waffe, dem internationalen Recht zu drohen und seine Einhaltung und
Anwendung zu fordern.

Internationale Gerichtsbarkeiten wurden vor nicht allzu langer Zeit ins
Leben gerufen, damit vor sie diejenigen gestellt werden können, die diese
Rechte verspotten. Niemand bezweifelt, dass diese internationalen Instanzen
beginnen, auch diejenigen Verantwortlichen zum nachdenken zu bringen, für
die bis vor kurzem - völlig risikofrei- Macht das einzige
Regierungsinstrument war. Diese Bewusstwerdung muss beschleunigt werden
durch eine große Bewegung für die vollständige Einhaltung des Rechts, sowohl
von Individuen und als auch Staaten. Wird das Recht von einem Staat
gebrochen wiegt diese Verletzung jedoch noch schwerer, da ihr interne
Abstimmung und Überlegungen auf höherem Niveau vorausgegangen sind. Im
Strafrecht spräche man von Vorsätzlichkeit und diese führt zu erschwerenden
Umständen.

Meine Damen und Herrn, liebe Freunde, die Ihr hier heute in Stuttgart
zusammen gekommen seid, um diese untragbare Situation anzuprangern und um
für einen gerechten und dauerhaften Frieden in Palästina und Israel zu
demonstrieren, Ihr müsst wissen, dass die pazifistische Waffe des Rechts
gegenwärtig das einzige Mittel ist, die Verantwortlichen zur Vernunft zu
bringen, die uns nur mit Gewalt begegnet sind. Wir müssen dafür mehr und
mehr zusammenarbeiten. Unsere bereits engen Netzwerke müssen noch dichter
werden, wir müssen zusammen agieren und wenn möglich gleichzeitig. Wir
befinden uns an einem strategischen Moment, an dem die, die sich für Gewalt
entscheiden einer unendlich viel größeren Gruppe gegenüberstehen, die den
Frieden durch das Recht wollen.

Wir sind Millionen, die der Vernunft zum Durchbruch verhelfen können. Sie,
die für uns entscheiden, sind nur eine Handvoll. Lasst uns, uns Gehör
verschaffen!