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Zusammenstellung von Ellen Rohlfs. Inhaberin des Bundesverdienstkreuzes (verliehen am 13. Sept. 1993)

"Ursache und Wirkungen“ nicht verwechseln

Montag 7. August 2006

Bei uns hört man in letzter Zeit im Kontext des Libanonkrieges, man solle doch ja nicht „Ursache und Wirkung verwechseln“- es war vor allem Angela Merkel, die diesen guten Ratschlag gab. Und nun plappern dies viele Leute nach z.B. der CDU-Politiker Gerster im DLF. Auch H. Freitag von der DIG in Ostfriesland, sogar Oberkirchenräte ...

Nun habe ich in der letzten Zeit Artikel aus der isr. und
internationalen Presse übersetzt, die ganz erstaunliche Dinge ans Tageslicht fördern, von denen man bei uns nichts hört. Angela Merkel behauptete: die Hisbollah habe Israel über Monate hinweg mit Raketen beschossen? Das ist für sie die Ursache des Konfliktes.

Woher hat sie diese Information? Sie war schlichtweg falsch informiert. Und dabei erhält unsere Regierung regelmäßig Berichte, und im Internet kann sich auch jeder eines besseren belehren lassen ( vgl. auch Artikel von Mellentin in Spiegel Online, 29.7.06)

Die Provokationen Israels sind ein Teil der Ursachen
Das Abfeuern von Katjuschas begann - wenn man von dem Beschuss am 28.5. 06 nach einer gezielten Tötung (1.Provokation) eines der Hisbollah nahestehenden Palästinenser am 26.5.06 in Sidon (nach Prof. Amal Saad-Ghoraibeh, Beirut) durch einen Mittelsmann (Mahmoud Rafeh) des isr. Geheimdienstes absieht - erst nach den
israelischen Bombardements . Dies hier war gewissermaßen das Vorspiel - aber eine klare israelische Provokation gegenüber der Hisbollah.

Es gibt mindestens 6 Ursachen des Konfliktes
(Israel nahm übrigens einen Mordversuch am israel. Botschafter in London 1982 als Anlass bzw. Vorwand, 1982 in den Libanon einzumarschieren)

1.Ursache :
a) bei Prof. Ilan Pappe ( „Was will Israel?“) kann man nachlesen, dass sich Israel seit Jahren auf diesen Krieg gegen den Libanon vorbereitet hat. Viele der Offiziere der IDF waren Pappes Schüler. Er kennt ihre Mentalität. Israel wollte endlich seine militärische Macht ausleben. Das Militär war frustriert, in den beiden Intifadas nur gegen Steine werfende Jugendliche vorgehen zu können. Die IDF wollte endlich die angesammelte,
modernste militärische Ausrüstung in einem richtigen Krieg
ausprobieren und die Abschreckung neu beleben - und sich nicht nur mit einem „low intensity conflict“ befassen - das war einfach zu langweilig .

b)Prof. Gerald Steinberg bestätigt , dass seit 2004 die
israelischen Angriffe intensiv „durchgespielt und einstudiert worden waren“ und dass sie (nach Haaretz 4.8.) sogar auf eine Gruppe von Neo-Cons in den USA zurückgehen, die im Gespräch mit Natanyahu schon 1996 nicht nur bewusst den Oslo-Prozess vollends zerstörten, sondern einen „Neuen Strategie-plan“ präsentierten: „A
Clean Break for Securing the Realm“ (Israel) . Hier war an eine Destabilisierung der Region gedacht, verbunden mit Angriffen auf den Libanon, Syrien und den Irak - damals auch besonders stark im Interesse der us- und israelischen Rüstungsindustrie. (nach Shraga Elam, isr. Journalist in der Schweiz lebend, der schon sehr früh und immer wieder darüber schrieb)

Die gefangen genommenen isr. Soldaten waren längst vergessen (Uri Avnery).

2. Ursache: Diese Pläne wurden also lange vor dem 11.9.2001 geschmiedet, um - und das ist wichtig ! - eine Vormacht der USA wegen der Ölreserven im Nahen Osten aufzubauen und dort Marionettenregime in Afghanistan, im Irak, Libanon ... einzusetzen.

Angeblich / heuchlerisch will man den Ländern im NO „Demokratie und Freiheit“ bringen. Nach dem 11.9. hatte man endlich den lang ersehnten Vorwand; denn nun musste ein Krieg gegen den Terrorismus im Nahen Osten geführt werden, zunächst gegen die Taliban in Afghanistan ..und schließlich im Irak ( die fadenscheinigen Gründe dazu wurden bald als Lügen entlarvt) ...Die USA sind außerdem daran interessiert, im Norden des Libanon einen großen Militär-Flughafen zu bauen; eine große US-Ölpipeline wurde - nach Avnery - einen Tag vor Kriegsausbruch ( in Gegenwart des isr. Minister für
Infrastruktur) von Baku kommend im türk.Hafen Ceyhan eingeweiht.

Sie soll dann vor der syr. und libanesischen Küste entlang nach Ashkelon geleitet werden. Dazu benötigen die USA die Sicherheit dieser beiden Länder, die durch Israel und die Türkei noch besonders abgesichert werden sollen.

Nun warteten die IDF in Israel nur auf Terrorakte (vom
Gazastreifen) und vom Libanon aus, um einen Vorwand zu haben, einen Krieg gegen die „Terrororganisation Hisbollah“ und gegen den Libanon führen zu können. Die Gefangennahme eines isr, Soldaten durch Palästinensers im Gazastreifen war dann auch Anlass und Vorwand , noch einmal über den Gazastreifen herzufallen.

Der brutale Kampf im Gazastreifen verläuft nun ohne Medienpräsenz im Schatten des Libanonkrieg. Der Genozid geht ungesehen weiter.
( s. meine Dokumentation). Journalisten werden kaum mehr in den Gazastreifen gelassen. Und vom Norden Israels können fast nur „eingebettete“ Journalisten - nach Jonathan Cook, Guardian/ Freitag 28,7,06 - berichten . vgl auch“ Medienbetreuung in Israel“ von M. bauer,Spiegel 28.7.06)

Die Libanesen mussten noch mehr provoziert werden - eine schon seit Moshe Dayan bekannte isr. Taktik bes. an der Nordgrenze zu Syrien. Wie geschah das jetzt 2006?

„Sobald es einen Schimmer von Stabilität gab, befahl der Staat Israel „gezielte Tötungen““ -wie z.B. die in Sidon, die dem Libanonkonflikt auch voraus ging (Oren Ben-Dor, 26.7.06 „The Independent“)

Es gibt nach der
1. Provokation der gezielten Tötung in Sidon ( s.o) nach Refusenik Sergej .Sendler eine
2. Provokation : über die Grenze hinweg das Erschießen von
libanesischen Hirten im Juni 2006 durch isr. Militär. (Statement der Resisters of War International, Paderborn, 28.6.06)
3. Provokation :am 12.7. kam ein isr. Kommando im isr.- libanes.
Grenzgebiet bei Zarit unter Hisbollah-Beschuss- aus diesem Kommando wurden zwei Soldaten gefangen genommen. (Umstände ungeklärt - es gibt sich widersprechende Quellen vom isr. Militär, liban.Polizei, Hisbollah
4. Provokation: das isral. Militär besetzte wegen der
Wasservorkommnisse weiter die Sheva-Farmen, ein umstrittenes, aber im Grunde libanesisches Gebiet . Israel verletzte die Blaue Linie, die Grenze zum Libanon, auf täglicher Basis - aber der Libanon darf sich anscheinend nicht selbst verteidigen.

Am schlimmsten aber waren (als 5.Provokation ) die von UNIFIL seit Juli 2000 - Juli 2006 aufgezeichneten Überflüge isr. Militärflugzeuge tief über libanesischem Territorium und mit die Schallmauer durchbrechenden Flugzeugen ( Überschallknalle) über dicht bevölkertem Gebiet in niedriger Höhe. (Vom Gazastreifen ist dies bekannt - vom Libanon war es bis jetzt nicht bekannt und
unsere Presse hat noch nie darüber berichtet.. (Ran HaCohen in www.antiwar ) und die

6. Provokation: das israelische Militär weigerte sich, ( mit dem Abzug im Jahr 2000) die Karten der Minenfelder im Grenzgebiet herauszugeben. Diesen Minen fallen immer
wieder liban. Zivilisten zum Opfer. (Die 8 getöteten isr. Soldaten vor dem 12.7. sollen mit ihrem gepanzerten Fahrzeug solch einer isr.Mine zum Opfer gefallen sein ( das kann ich nicht belegen, las es aber irgendwo)

Also gab es mindestens 6 Provokationen von
israelischer Seite, bevor die beiden Soldaten gefangen genommen wurden - und die Katjuschas flogen jetzt erst - nach der 1. Bombardierung im Libanon durch Israel ....

1. Warum nahm die Hisbollah zwei israelische Soldaten auf libanes. Gebiet gefangen? Nachdem im Gazastreifen nach der Entführung (auch eine isr. Provokation !!) von zwei pal. Zivilisten durch eine isr. Undercovereinheit aus Khan Yunis einen Tag vor der Gefangennahme des einen isr. Soldaten - ein Soldat entführt worden war und man diesen im Tausch gegen pal. Gefangene herausgeben wollte, dachte die Hisbollah an die libanesischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen, ( drei oder mehr ? Einer
soll schon 23 Jahre dort sitzen ), um auch sie auszutauschen.
-
Dazu kommen 10067 palästinensische zumeist polit Gefangene in Israels Gefängnissen.
Auch die Hisbollah wäre bereit gewesen, die 2 isr.
Kriegsgefangenen gegen lib. Gefangene auszutauschen (Jonathan Steele , Beirut , im Guardian am 28.706). Israel lehnte ab. Israel wollte den Krieg

Die 3. Ursache: Der Verteidigungsminister Amir Peretz gab Anfang Juli (nach Ilan Pape) der Forderung des israelischen Militärs ohne Zögern nach, den Gazastreifen zu „zermalmen“ und den Libanon „ zu Staub zu mahlen“, um den Job von 1948 zu vollenden, wie Sharon es einmal ausdrückte: um damit die völlige Vertreibung der
Palästinenser aus dem Gazastreifen und der Libanesen aus dem Südlibanon zu erreichen.

Die 4. Ursache: Es geht um das Wasser des Litaniflusses; denn das Wasserproblem wird in Israel immer größer .Der Plan zum Bau eines Kanales zum Jordan liegt seit vielen Jahren in isr. Schubladen.

Die 5.Ursache : Ablenkung: Der Krieg war längst vorbereitet und das Militär wartete auf eine Provokation, um diese als Vorwand zu nehmen , loszuschlagen (die Gefangennahme der 2 isr. Soldaten)---
und nun wird offensichtlich, wie sehr die USA auch daran
interessiert sind, weil sie voll im Irak-Sumpf stecken, und für ihre und der Welt Öffentlichkeit Ablenkung durch den Krieg im Libanon brauchen, dazu ihre neuen kürzlich noch einmal an Israel gelieferten , angeblich noch zielsicheren Waffen im Libanon und im Gazastreifen ausprobiert werden sollen . Israel braucht auch Ablenkung für den vernichtenden Krieg im Gazastreifen und zum Bau
der Mauer in der Westbank.

Die 6. Ursache: die US/ isr.-Waffen brauchen ein Versuchsfeld:

Clusterbomben mit Depleted Uran, Vakuumbomben, Phosphorbomben, chemische und noch nicht klar definierte Waffen — das sind klar Kriegverbrechen ...)..Die US-Rüstungsindustrie steckt hier tief mit drin - wie weit auch die deutsche Rüstungsindustrie (U-Boote, Dingos, Panzerersatzteile) ??

Ist Frau Merkel deshalb an keiner Waffenpause interessiert?

Haben wir uns schon so sehr den USA- Kriegsverbrechern
angeglichen? Soll das Morden im Libanon also itergehen ?

Unglaublich ! Spricht noch jemand von unsern christl. Werten?

Den USA geht es auch nicht um einen baldigen Waffenstillstand, weil Israel noch nicht das Militärziel der USA erreicht hat.

Résumée: Die Ursachen des Krieges liegen also - nicht bei der Hisbollah ( sie ist - laut Galtung - nur das Symptom,) nicht beim Katjuscha-Beschuss Israels, nicht an der Gefangennahme der 3 Soldaten - sondern

1. in den Interessen der USA, wegen der Ölvorkommnisse die Vormachtstellung im Nahöstlichen Raum, auch im Iran, zu bekommen -
Israel soll militärisch helfen/ vorbereiten: Einfall in den Libanon, möglichst Syrien .... Operation „A Clean Break“.
Womöglich auch Vorbereitung eines Krieges gegen den Iran.

2. in den Interessen der US/ isr. Rüstungsindustrie (Neo-Cons) (und der deutschen?) Versuchsfeld für weiter- und neu entwickelte Waffen aus der US und isr. Produktion

3. in der Ablenkung vom Morast, in dem die USA im Irak stecken und der Ablenkung vom Krieg im Gazastreifen und des Mauerbaues in der Westbank
4. in Israels Interesse am Wasser des Litani und an Landgewinnung
5. in der Zerschlagung der sog. „Terrorgruppen“ von Hamas und Hisbollah - denn sie verlangen das Ende der Besatzung, sie klagen die doppelte Moral der internationalen Gemeinschaft an, verlangen endlich eine gerechte Lösung des Palästinaproblems und der
Flüchtlingsfrage, den Abriss der Mauer, der Checkpoints , die Gefangenenbefreiung...

6. als eine der wichtigsten Ursachen: das ungelöste Palästina- Problem

Vorgeschobene Gründe: Katjuschabeschuss, Freilassung der isr.
Gefangenen, Sicherung der Grenzen Israels, Existenzrecht Israels ...

„Wirkungen“: Der Einfall Israels in den Libanon als längst geplante kriegerische Aktion ist also keine Wirkung, keine Re- Aktion auf die Katjuschas der Hisbollah - sondern ein Plan, der jetzt ausgeführt wurde, weil die Hisbollah mit der Gefangennahme der 2 Soldaten einen Anlass gaben.

Der Katjuschabeschuss Nordisraels durch die Hisbollah ist also eine Re-Aktion auf diese Invasion - darf sich der Libanon, darf sich die Hisbollah nicht gegen die Zerstörung des südlichen Libanon, der Zerstörung der libanes. Infrastruktur, das Töten der Menschen dort wehren , darf der Libanon nicht auch in sicheren Grenzen leben?

Nicht Israels Existenz sondern die Existenz des Libanon und des palästinensischen Volkes ist jetzt bedroht.
Sollte Israel aber diese destruktive, unvernünftige Politik weiterführen, vermehrt es das Potential des Hasses der arabisch- muslimischen Welt und darüber hinaus derart, dass es die extremen Kräfte nur fördert - und nicht nur Israel tatsächlich in Gefahr gerät. Das ist aber seine eigene Schuld.

Mit Oren Ben-Dor sollten wir uns ernsthaft fragen : „Wer ist der eigentliche Terrorist im Nahen Osten ?“
(26.7.06 Independent)