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Lettre ouverte à une parlementaire allemande siègeant au Bundestag.

Offener Brief an Frau Angelika Merkel, Vorsitzende der CDU Deutschland und Abgeordente des Deutschen Bundestages

Donnerstag 16. Dezember 2004

Offener Brief an Frau Angelika Merkel, Vorsitzende der CDU Deutschland und Abgeordente des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Frau Merkel,

seit einigen Jahren faellt es mir auf: Sie, aufgewachsen in einem christlichen Pfarrhaus, meinen, Israel zu verteidigen, wenn
Sie israelische Apartheid-Politik verteidigen. Israel gegen den Terror unterstuetzen? Ja, da haben Sie die Zustimmung aller
meiner juedischen und nichtjuedischen Freunde. Hier, in Frankreich, in Deutschland, in Israel und anderswo.

Nur - und da scheinen wir unser Bewusstsein aus total unterschiedlichen Quellen zu gewinnen - Israel zu verteidigen heisst,
im 21. Jahrhundert, zu allererst „Israel vor sich selbst zu schuetzen“! Dies ist - fuer jeden in Deutschland - nachzulesen bei
Michel Warschawski ("Im Hoellentempo") oder bei Prof. Baruch Kimmerling ("Politzid") oder auch bei Marcel Pott ("Schuld und Suehne im Gelobten Land"). Bitte machen Sie sich die Muehe, gelegentlich einen Blick in die internationale Ausgabe von Ha’aretz, der großen israelischen Tageszeitung zu werfen (im Internet).

Terrorismus! Sie kennen diesen, in anderer Form, humanistisch sich definierend, totalitaer sich gebaerdend, aus Ihrer eigenen Biographie im „real existierenden Sozialismus“ (der, immerhin, anders als derjenige des Staates Israel gegenueber ganz normalen Palaestinensern in militaerisch besetzten Gebieten, oft verfaelschend „Gebiete“ genannt, immerhin selbst Ihnen ein, wenn auch begrenztes, so doch aktives Betaetigungsfeld in der kommunistischen Jugendorganisation bot). Es handelt sich hier, Sie erahnen es, um Staatsterrorismus.

Nicht um irgendeinen, fernen. Dies ist die Realitaet für die Palaestinenser. Ein paar Flugstunden von Berlin entfernt. Dies, und nicht die existenzgefaehrdende Gefahr, die für den Atomstaat Israel von palaestinensischen Widerstandsgruppen ausgeht.

Welcher Art von Hirnwaesche, ich bitte um Verzeihung, muessen Sie unterlegen sein, wenn Sie nicht die Wirklichkeit in und um
Israel erkennen? Lesen Sie das leider immer noch hochaktuelle Buch des US-amerikanischen Politologieprofessors Kenneth
M. Lewan „Ist Israel Südafrika?“ aus dem Jahr 1993. Von 1993 und heute aktueller denn je !

Bitte glauben Sie mir, und, was viel wichtiger ist, glauben Sie meinen israelischen Freuden, z.B. von „New Profile“ (Google-Suche!): Wenn Israel gefaehrdet ist, so durch sich selbst, nicht durch die schwachen, entrechteten, vertriebenen, gewaltsam verarmten in eine Wirklichkeit des 18 Jahrhundert katapultieren und gedemuetigten Palaestinenser.

Schenken Sie bitte denen Glauben, die Ihnen sagen: der Widerstand, auch der, welcher sich in Terrorakten (aehnlich dem der franzoesischen. Resistance des Grossvaters meiner Ehefrau gegenueber den deutschen Besatzern), Suizidattentaten etc.. wird rasch verschwinden, wenn die Ursache der Gewalt im Nahen Osten, der Mangel an Respekt und Anerkennung verschwunden ist.

Wie sagte mir ein Freund, Jude und israelischer Staatsbuerger Abi (Abraham): „es waere ja schon beinah als Fortschritt anzusehen, wenn Israelische Politik gegenueber den Palaestinensern Hassgefuehle aufbraechte. Es waeren wenigstens (menschliche) Gefuehle, Jedoch, nicht einmal dies tut sie ...man nimmt Palaestinenser nicht einmal wahr, nicht als Menschen, nicht als Buerger’“. Man negiert, verachtet sie.

Bedenken sie bitte: wer zu Verbrechen schweigt, macht sich mitschuldig !

Ich habe mir einmal die kleine Muehe gemacht, mir die Liste der Ehrengaeste (darunter auch Sie) beim sogenannten
6. Europaeisch-israelischen Dialog" anzusehen. Von Dialog keine Spur, Alles Gleichgesinnte. Da braucht es nicht einmal
„Gleichschaltung“. Dialog findet ueblicherweise statt durch Disputation gegensaetzlicher Meinungen. Wo ist der bei dieser
Veranstaltung ?

Gern haette ich Ihnen eine Liste sehr honoriger juedischer, darunter auch israelischer Freunde genannt, zu einem Dialog,
der das Wort verdient haette. „Europaeer“ zu sein, hier, oder „Israeli“, dort, ist kaum eine hinreichende Unterscheidungs-Qualifikation um den Begriff „Dialog“ zu beguenden, Es handelte sich da doch wohl eher um „Monologe“. Ihre Veranstaltung ist insofern eine ...Mogelpackung. Schade fuer Sie, denn damit ist „kein Staat zu machen“. Wie denken Sie darueber, Sie, die rational und zu genauen Definitionen und Schluessen befaehigte gelernte Physikerin ?

Erlauben Sie mir ganz kurz eine konkrete Frage: wie soll „Europa“ dabei helfen, Israel mehr Sicherheit gegen „dem“ (leider bei Ihnen undefiniertem") Terrorismus zu schaffen ? Soll die Apartheidmauer verlaengert werden, hoeher werden ? Sollen die
Checkpoints (Checkpoint Charly war ein Kinderspiel dagegen. Ich weiß das, denn meine Familie, ausser mir, „durfte“ ihn
benutzen, auch Herr Gedmin kennt ihn aus eigener Erfahrung) vermehrt werden ? Sollen die Juenglinge in Tsahal-Uniformen, oft 18-jaehrige Soldaten an den Checkpoints noch etwas „schaerfer, etwas zynischer gemacht“ werden ? Mit der Folge, dass noch ein paar hundert weitere „Terroristen“ "nachwachsen"? Sollen noch eim paar U-Boote für taktische Atomwaffen zusaetzlich geschenkt werden, mehr Panzerteile und Humphees aus dt. Bauteilen, mehr illegale Einfuhren aus der Produktion in den illegalen Kolonien, zollfrei, genehmigt werden?

Ich nehme an, all dies ist nicht noetig, dies meinten Sie sicherlich auch nicht. Vielleicht meinten Sie aber: unkonditionelle
und von aller moralischer (Max Weber: Protestantische Ethik oder auch I. Kant!) Einwaende entledigte politische Unterstuetzung und mediale Begleitung staats-terroristischer Akte. Akklamation anstelle kritischer Freundschaft.

Damit begeben Sie sich aber, auch wenn dies z.Zt. vielleicht nicht zum allgemeinen Erkenntnisstand Ihrer „Runde“ gehoert, außerhalb der zivilisierten, westlichen Wertegemeinschaft. Etwas einacher, populaerer, ausgedrueckt: das ist nicht in Ordnung.

Wer Israel unterstuetzen will, tut dies, durch ehrliche und auf humanistischen Grundsaetzen fußende Kritik. Damit wird sowohl Israel als auch Palaestina Frieden gesichert. Nicht aber durch Apartheid, Anwendung miltiaerischer Gewalt und Missachtung der
Nachbarn. Nicht durch Vertreibung, nicht durch Erniedrigung. Es genuegt, sich an den Eingangssatz des Artikel 1 des GG der Bundesrepublik Deutschland (Sie hatten leider, unverschuldet, nicht das Glueck, in dieser aufzuwachsen) zu halten:
„Die Wuerde des Menschen ist unantastbar“

Hier hat das GG bewusst von „dem Menschen“ und nicht von „dem deutschen Menschen“ geredet. Es hat auch keine Hierarchie zugelassen, wie „des juedischen“, oder einer anderen ethnischen, kulturellen, religiösen Gruppe. Des Menschen!

Besondere und bleibende Verantwortung, sehr geehrte Frau Merkel, hat das Deutsche Volk, aufgrund der Geschehnisse im 3. Reich, gegenueber dem juedischen Volk,, nicht aber gegenueber dem „zionistischen Projekt“, einem kolonialistischen Konzept aus dem spaeten 19. Jahrhundert, einem Plan, der, lt. Theodor Herzl von Anfang an die Vertreibung, heute wuerden wir dies „ethnische Saeuberung“ nennen, der Einwohner des zu besiedelnden Gebietes vorsah. Bitte lesen Sie nach: Tagebucheintragung Th. Herzls vom 12.6.1895, Seite 98 ff,, wiedergegeben in: Theodor Herzls Tagebuecher, 1922, Berlin, Juedischer Verlag.

Das hat mit den Verbrechen der Deutschen an den euroöpäischen Juden nichts zu tun, auch nichts mit der bleibenden Verantwortung des deutschen Volkes (nicht nur der Politik, sondern aller Deutschen) für das Judentum.

Mit freundlichem Gruss

Günter Schenk
Membre du „Collectif Judeo-arab et citoyen pour la Paix“ Strasbourg.

P.S. Ich erlaube mir, zwei aktuelle Dokumente (garantiert virenfrei!!!) anzuhaengen. Professor Kimmerling, Jude, Israeli, Wissenschaftler gibt uns allen, auch „der deutschen Politik“ hier ein wertvolles Seminar. Ausserdem stelle ich Ihnen anheim,
eine Petition, Ihrem Amt und dessen Wuerde sicher angemessen, an den franzoesischen Staatspraesidenten sowie den britischen Premierminister zu unterzeichnen (Dokument, ebenfalls virenfrei, im Anhang) Ich bitte um Nachsicht für die Inanspruchnahme Ihrer kostbaren Zeit

freundlich und mit den besten Festtagsgruessen und Wuenschen
für ein friedliche(re)s Jahr 2005

Guenter Schenk
- 
Membre du „Collectif Judeo-arab et citoyen pour la Paix“ Strasbourg