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Von Bettina Marx, Deutsche Welle

Ein Richter unter Druck

Lundi, 18 avril 2011 - 7h12 AM

Montag 18. April 2011

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Goldstones merkwürdige Wendungen

Es war eine merkwürdige Volte, die der südafrikanische Richter Richard Goldstone in der letzten Woche geschlagen hat. Wenn er den nach ihm benannten Bericht über den Gazakrieg vor zwei Jahren heute noch einmal verfassen würde, dann würde er anders ausfallen, schrieb er in einem Artikel in der „Washington Post“. Denn heute wisse er, dass Israel, im Unterschied zur Hamas, nicht absichtlich Zivilisten angegriffen habe.

Vor zwei Jahren hatte Goldstone in seinem Bericht über den Gazakrieg schwere Vorwürfe gegen Israel und die Hamas erhoben und war dafür von Israel heftig kritisiert worden. Zur Erinnerung: Während der dreiwöchigen Offensive gegen den Gazastreifen wurden rund 1400 Palästinenser getötet, Tausende wurden verletzt, die Mehrzahl von ihnen Zivilisten.

Unter den Toten waren rund 300 Kinder. In der gleichen Zeit wurden auf israelischer Seite 13 Menschen getötet. Die Offensive begann mit einem Luftangriff auf eine Polizeikaserne. Dort fand gerade die Abschlusszeremonie eines Polizeilehrgangs statt. Dutzende junge Kadetten, die gerade ihre Ausbildung zu Schutzpolizisten beendet hatten, wurden bei diesem gezielten Angriff getötet. Polizisten gelten im internationalen Kriegsrecht jedoch nicht als Kombattanten, sondern sind den Zivilisten zuzurechnen.

Zum Zeitpunkt der ersten Angriffswelle, die am helllichten Tag stattfand, waren in den Straßen Gazas Tausende Kinder unterwegs, deren Schulunterricht gerade zu Ende gegangen war. Am Ende dieses ersten Tages zählten die Palästinenser etwa 250 Tote und mehr als 600 Verletzte. Alle nur bedauernswerte Kollateralschäden? Schon kurz nach dem Ende der Offensive im Januar 2009 wurde bekannt, wie die Militärrabbiner die Soldaten auf den Waffengang eingestimmt hatten. Oberstes Prinzip sei es gewesen, das Leben der israelischen Soldaten zu schützen. Dafür dürfe man auch den Tod von Zivilisten in Kauf nehmen, so die Anweisung der Seelsorger.

Dieses Vorgehen, das dem internationalen Kriegsrecht klar widerspricht, wurde von Zeugenaussagen gestützt, die die israelische Veteranenorganisation Breaking the Silence gesammelt und dokumentiert hat. Aus ihnen geht hervor, dass die Rücksicht auf Zivilisten für die israelische Armee keine Rolle spielte. Der Einsatz von Phosphormunition und anderen unmenschlichen Kriegswaffen ist ebenfalls von unabhängigen Experten festgestellt und belegt worden. Dass der Richter aus Südafrika, der im Auftrag der UNO die erste Untersuchungskommission zum Gazakrieg leitete, all dies plötzlich ausblendet, ist, gelinde gesagt, verwunderlich. Vielleicht lässt es sich mit dem massiven Druck erklären, dem Goldstone ausgesetzt war. Seine jüdische Gemeinde schloss ihn vom Gemeindeleben aus, in Israel, dem Land, in dem seine Tochter lebt, wurde er geschmäht und beschimpft, er bekam Todesdrohungen und wurde geächtet. Doch all dies kann kein Grund sein, dem Gazakrieg nachträglich einen Koscher-Stempel zu verpassen.

Die Offensive mit dem zynischen Namen „Gegossenes Blei“ war ein ungeheures Kriegsverbrechen, das Israel bewusst und gewollt begangen hat. Eine schutzlose Bevölkerung wurde drei Wochen lang den Bomben und den erbarmungslosen Angriffen der israelischen Armee ausgesetzt, ganze Wohnviertel wurden in Schutt und Asche gelegt, die kümmerlichen letzten Reste der palästinensischen Wirtschaft wurden mutwillig zerstört. Auch die Raketenangriffe militanter Palästinenser können dafür nicht als Begründung herhalten. Denn, so verwerflich sie auch sein mögen, Kollektivstrafen sind nach internationalem Recht verboten. Die Zivilbevölkerung von Gaza aber, die zu mehr als 60 Prozent aus Kindern besteht, wird seit Jahren kollektiv bestraft, durch die Abriegelung, durch die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, und durch immer wiederkehrende Militäroperationen. 1,5 Millionen Menschen, die im winzigen Gazastreifen leben, werden von Ressourcen abgeschnitten und von medizinischer Versorgung, von sauberem Wasser und von freiem Zugang zu Bildung.

Das ist ein unverzeihliches Unrecht. Der Druck, den die Menschen von Gaza, seit Jahren aushalten müssen, ist ungleich schlimmer, als der, dem Richter Goldstone ausgesetzt war. Seine plötzliche Kehrtwende ist nicht nur merkwürdig, sie ist eine Schande.