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Interview Uri AVNERY

Die List der Vernunft

Das Gespräch führte Johannes Zang

Sonntag 14. September 2008

IM GESPRäCH III Der israelische Schriftsteller Uri Avnery über einen genetisch bedingten Optimismus, der ihn auch zu seinem 85. Geburtstag nicht verlässt

FREITAG: Was könnte europäische Politik dafür tun, um den israelisch-palästinensischen Gesprächen über den toten Punkt zu helfen?

URI AVNERY: Sie könnte viel mehr Druck auf beide Seiten ausüben. Die USA unterstützen vollkommen einseitig die schlimmsten Elemente in Israel. Europa ergreift aus Feigheit überhaupt keine Initiative, weil es die amerikanische Vorherrschaft im Nahen Osten anerkennt. Politisch kommt das einer Abdankung gleich. Mir hat mal ein deutscher Außenminister klar gesagt „Wir sind machtlos“. Die einzige Macht im Nahen Osten ist Amerika. Um sein Gewissen zu erleichtern, gibt Europa von Zeit zu Zeit den Palästinensern ein paar Millionen Euro, eine Art Gewissensgeld und nutzlos, denn es bleibt bei der palästinensischen Oberschicht hängen.

Sie wünschen sich Druck auf Israel und Palästina: Könnte dieser Druck in Israel nicht einen gegenteiligen Effekt haben und das Land weiter nach rechts abdriften lassen

Das glaube ich nicht, im Gegenteil. Wenn internationale Anerkennung für Friedensbestrebungen und Friedenskräfte in Israel ausgesprochen wird, dann dürfte das den Respekt für die Friedensbewegung und die moralische Kraft der Friedensbewegung stärken.

Sie sagen oft, es gäbe friedliche Elemente auf beiden Seiten - viele Deutsche halten Ihnen entgegen, bei den Palästinensern existiere gar keine Friedensbewegung.

Das ist vollkommen unsinnig, die palästinensischen Behörde selbst ist eine Friedensbewegung. Yassir Arafat hat 1993 in Oslo - das wird meistens übersehen - mit einem Federstrich 78 Prozent Palästinas, wie es bis 1948 bestand, aufgegeben. Dieser Mann war für Israel ein idealer Partner, weil er die Führungskraft hatte, nicht nur einen Frieden zu unterschreiben, sondern sein Volk auch zu motivieren, den Frieden zu akzeptieren.

Sagen Sie das auch über Arafats Nachfolger Mahmoud Abbas?
Ich kenne ihn 40 Jahre, seine bestimmenden politischen Aktivitäten sind Friedensaktivitäten. Er verhandelt mit Israel, obwohl die Verhandlungen gegenstandslos sind.

Warum?

Weil gewisse Kreise in Israel nicht am Frieden interessiert sind. Weil Frieden bedeutet, dass die Siedler aus dem West-Jordanland abziehen. Die wiederum sind in Israel zwar eine Minderheit, aber eine sehr gewalttätige und politisch starke. Die Regierung hat einfach Angst vor einer Konfrontation.

Sie sind trotz allem Optimist. Wie kommt es, dass Sie das Glas im Nahen Osten halb voll sehen, während andere nicht einmal ein Glas erkennen können?

Kein Mensch tut etwas, weil man pessimistisch ist. Ich bin genetisch ein Optimist, mein Vater und Großvater waren Optimisten. Der zweite Grund für den Optimismus ist mein Alter. Ich habe gesehen, wie sich Dinge verändern, langsam. Leider. Als meine Freunde und ich nach dem Krieg von 1948 gesagt haben, wir brauchen Frieden mit den Palästinensern, wurde mir erklärt, als Volk gäbe es die gar nicht. Noch vor 30 Jahren hat das eine Ministerpräsidentin wie Golda Meir mit Nachdruck wiederholt. Wer bestreitet heute noch in Israel oder der Welt, dass es ein palästinensisches Volk gibt? So schlimm die Lage auch aussehen mag, unterirdisch verändern sich Dinge. Ich vergleiche das immer mit einem Fluss - er kommt am Ende zum Meer. Hegel nennt das „List der Vernunft“. Ich glaube, diese List hat auch eine Organisation wie Hamas erfunden.

Wie ist das zu verstehen?

Ganz einfach, es war eine gute Sache, dass Hamas gewählt worden ist. Wenn wir es fertig bringen, uns mit Hamas zu verständigen - und das werden wir irgendwann tun müssen -, dann haben wir uns mit dem ganzen palästinensischen Volk verständigt.

Was wünschen Sie sich zu Ihrem 85. Geburtstag?

Frieden - ich habe beschlossen, am Leben zu bleiben, bis der Frieden zustande kommt. Ich möchte es erleben.

Das Gespräch führte Johannes Zang