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Eric Rouleau , Le Monde Diplomatique , Mai 2008-05-27

Die ethnische Säuberung Palästinas – Judentum ist universal

„Abraham Burg ist der Schnorrer des israelischen Establishments“

Sonntag 1. Juni 2008

Abraham Burg ist der Schnorrer des israelischen Establishments. Obwohl er der Reihe nach ein prominenter Führer der Labour-Partei war, der Vorsitzende der Zionistischen Weltorganisation und Knessetsprecher, äußert er regelmäßig seine Meinungen, die nicht mit jenen seiner Landsleute übereinstimmen. Burg hat die Hoffnung verloren, diejenigen, die an der Macht sind zu beeinflussen und verließ 2004 die Politik.
Die Ansichten, die er in seinem letzten Buch „Der Holocaust ist vorbei: Wir müssen uns aus seiner Asche erheben“ (Herbst 2008 bei Macmillian) ist schonungslos offen. Über die Besatzung der palästinensischen Gebiete schreibt er: „Jahrelang versuchte ich meine Position (auszunützen), um einen Bruch innerhalb der israelischen Gesellschaft zu verhindern. Ich habe mich geändert. Heute frage ich : „Sind (alle Juden) meine Brüder? Meine Antwort ist nein … seit der Shoah glaube ich, dass es so etwas wie ein genetisches Judentum nicht gibt, sondern nur jüdische Werte…Selbst wenn sie beschnitten sind und den Sabbat respektieren und die 10 Gebote — die niederträchtigen Besatzer sind nicht meine Brüder.“

Durch das ganze Buch hindurch kontrastiert er das „Judentum des Ghetto“ , dessen Rassismus er beklagt, mit dem „universalen Judentum“, dessen Humanismus er unterstützt. Er weist die Vorstellung des Alten Testamentes zurück, dass die Juden Gottes auserwähltes Volk seien, da dies zu einem Anspruch rassischer Überlegenheit führt. „Der Krebs des Rassismus frisst uns alle weg“, sagte er 2003 zur israelischen Tageszeitung Yedioth Aharonoth . Er schrieb auch, dass die schreckliche Tragödie der Shoa demonstrierte, dass Jehova nicht mehr der Beschützer des auserwählten Volkes war und auch nicht verantwortlich für sein Unglück. Er glaubt an einen Gott, der dem Menschen die Kraft gegeben hat, Entscheidungen zu treffen und so verantwortlich für seine Taten ist.

Burg ist der Sohn eines weltweit anerkannten Rabbiners, der der Führer der Nationalreligiösen Partei und ihr Vertreter in der Knesset fast in jeder Regierung seit der Gründung des Staates Israel 1948 war. Burg selbst war in einer Yeshiva (religiöse Schule) und sein Werk zitiert großzügig aus der Thora und dem Talmud, um zu zeigen, wie heilige Texte oft falsch interpretiert und verdreht werden können oder einfach ihre Relevanz verloren haben.

Burg klagt die zionistischen Führer an, die Shoa – eine Tragödie nicht nur für die Juden, sondern für die Menschheit - auf schändliche Weise sich angeeignet zu haben. Er ist nicht damit einverstanden, dass sie diese zum wesentlichen Teil jüdischer Identität gemacht haben und dabei zu einer Litanei vergangener Verfolgung. Nach Burgs Ansicht verfälscht dies jüdische Geschichte und verheimlicht Jahrhunderte des Friedens und guter Beziehungen mit anderen Völkern .

Burg erinnert seine Leser z.B. daran, dass der alte Perserkönig Cyrus der Große sich um seine jüdischen Bürger gekümmert hat; oder an die fruchtbaren Beziehungen, die Juden im Mittelalter mit ihren muslimischen Landsleuten an Orten wie Aragon, Kastilien und Andalusien genossen und die privilegierte Position der Juden in Amerika und andern Ländern der Welt. Er wies auch darauf hin, dass Juden in Deutschland Jahrhunderte lang neben Deutschen lebten – bevor die Nazis zur Macht kamen. Er glaubt, dass Juden, die sich gut in ihre Gesellschaften integriert haben, nicht dafür stigmatisiert werden sollten, weil sie nicht nach Israel auswandern wollen, besonders da die Diaspora in der Weltkultur eine positive Rolle spielt.

Burg ist gegen die Anwendung des Wortes Shoa (Katastrophe) für den Holocaust, da es ihm einen einzigartigen Charakter gibt, ohne Vergleich zu anderen Genoziden. Diese Exklusivität – so glaubt er - beeinträchtigt Mitleid und Solidarität mit nicht-jüdischen Opfern. Dies nährt auch die Paranoia, dass Antisemitismus ein universales, zeitloses Phänomen sei im Sinne von „Die ganze Welt hat sich gegen die Juden verbunden.“

Die zionistischen Führer haben den Holocaust auf verschiedene Weise instrumentalisiert. Er kann als emotionale Erpressung verwendet werden, um daraus politische und finanzielle Vorteile zu ziehen. Oder er dient gegenüber den Deutschen als Erinnerung an ihre kriminelle Schuld und gegenüber den Amerikanern und Europäern, dass sie wegschauten, als Juden unter den Nazis litten. Die israelische Regierung garantiert sich selbst Straflosigkeit, in bezug auf ihre Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte, egal welche Verbrechen sie ausführt wie z.B. die gezielten Tötungen von Palästinensern.

Burg ist nicht mit israelischen Wissenschaftlern einverstanden, die alle Genozide ignorieren außer dem, den Juden erlitten, und mit Gesetzen, die nur Verbrechen gegen Juden bestrafen. Er ist gegen jüdische Immigranten, denen automatisch die israelische Staatsbürgerschaft aus religiösen und genetischen Gründen zuerkannt wird. Als engagierter säkularer Jude hat er auch die “religiösen Fundamentalisten“ kritisiert, die die nationale Souveränität verachten.

Indem er bemerkt, dass sein Land oft die verantwortliche Führung aus dem Militär oder dem Geheimdienst holt, warnt er davor, das der Alptraum eines Staates, der von Rabbinern und Generälen gelenkt würde, nicht unmöglich sei.“

Er denkt, dass es an der Zeit sei, dass Juden und Israelis sich selbst vom Alptraum des Holocaust befreien, der natürlich immer im Gedächtnis bleiben muss, aber nicht länger dadurch, dass wir weiterhin im Staub liegen. Wir müssen endlich die Auschwitzmentalität loswerden, als auch die Kultur des Trauma und des Terror.“

Burg betrachtet sich nicht als Anti-Zionist, außer wenn die Prinzipien von Herzl und die Werte der Unabhängigkeitserklärung verraten werden. Das ist geschehen, als sich Israel in einen „Kolonialstaat verwandelte, der von einer unmoralischen Klicke korrupter Banditen geführt wurde,“ wie er es in seinem Interview in der Yedioth Aharonot ausdrückte. Im selben Artikel fährt er fort: Das Ende des Zionismus ist nahe … ein jüdischer Staat kann andauern, aber es wird ein Staat anderer Art sein, furchtbar und gegenüber unsern Werten fremd.

Es ist nicht überraschend, dass solche Ansichten in Israel einen Aufschrei provozieren . Aber sie erhalten auch begeisterte Unterstützung von jenen Israelis, die sich sehr nach einer gründlichen Reform ihres Landes sehnen. Abraham Burg, der Anfang 50 ist, kann hoffen, dass sein Traum eines Tages noch Realität wird. Und wie die Welle der Bilderstürmer in der israelischen Intelligenz, die die Arbeiten der neuen Historiker in sich aufgenommen haben, ist er ein lebender Beweis, dass seine Gesellschaft im Begriffe ist, einen tiefgehenden Wandel durchzumachen.

(dt. Ellen Rohlfs)