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Voll Apartheid ! (ndlr)

Die Diskriminierung der schwarzen Juden

F.A.Z., 22.12.2007, Nr. 298 / Seite 5

Sonntag 23. Dezember 2007

Einwanderer aus Äthiopien haben es in Israel nicht leicht, sich zu integrieren. Schon in manchen Kindergärten gibt es eigene Gruppen für schwarze Kinder. Jetzt spricht auch das Kabinett über Diskriminierung und Rassismus - und will handeln. Von Jörg Bremer

JERUSALEM, im Dezember. Die Diskriminierung der schwarzen Juden in Israel ist zum Thema im Kabinett geworden. „Das Gefühl der äthiopischen Juden, dass man sie falsch behandelt, ist nicht Phantasie“, sagte dort jetzt Ministerpräsident Olmert. „Wir müssen die Wirklichkeit ändern.“ Außenministerin Liwni nannte die Sache beim Namen und sprach von „reinem Rassismus“.

Zuerst kam eine nationalreligiöse Oberschule in einer der zionistischen Ursprungsstädte ins Gerede: In Petach Tiqwa bekämen vier äthiopische Mädchen Extraunterricht, damit sie nicht mit „anderen“ die Schulbank drückten. Das wurde den „Religiösen“ angelastet, für die äthiopische „Falaschen“ nicht koscher sind. Noch immer verlangen die Oberrabbiner von äthiopischen Einwanderern, auch wenn die sich selbst in einer älteren Tradition jüdischer Zugehörigkeit sehen als die meisten Israelis, die orthodoxe Konversion.

Dann wurde gemeldet, in einem Kindergarten - ebenfalls in Petach Tiqwa - gebe es eine spezielle Klasse für äthiopische Kinder. Obwohl in der dazugehörenden Nachbarschaft Familien aus allen Weltteilen leben, werden diese Kinder im Hort von den anderen getrennt. Sie haben zwei „weiße“ Lehrer und einen „schwarzen“ Übersetzer. Nach Auskunft des Kindergartens will die Stadt das so. Die Eltern wünschten eine religiöse Erziehung, heißt es dagegen bei der Stadtverwaltung, und weil die meisten Familien in der Gegend säkular seien, müsse eben Extraunterricht für die äthiopischen Kinder angeboten werden. Im Kindergarten weiß man von dieser Begründung nichts.

Rechtsanwalt Anania, dessen Organisation die Integration erleichtern will, sagt: „Unsere Mandanten wollen sich in die Gesellschaft integrieren, mit Israelis zusammenleben, aber die Stadt stellt sie vor vollendete Tatsachen.“ In Hadera im Norden wird sogar auf dem Spielplatz getrennt. Wenn schwarze Kinder schaukeln, warten die weißen, bis die schwarzen nicht mehr schaukeln wollen. „Wir mischen uns hier nicht“, wird dazu eine junge Äthiopierin zitiert. Derweilen lümmeln drei junge äthiopische Männer mit einem Basketball vor dem Gemeindezentrum herum. Sie warten darauf, dass geöffnet wird: „Wir kommen jeden Nachmittag und spielen unseren Frust weg.“ Auch die drei sind unter sich. Er sei arbeitslos, sagt einer von ihnen. „Niemand stellt hier Äthiopier ein.“

Die Armee biete eine gute Chance zur Integration, heißt es. „Da müssen wir die Drecksarbeit machen“, findet der Mann. Vielfach fallen die äthiopischen Soldaten an den Kontrollpunkten im Westjordanland dadurch auf, dass sie die Palästinenser besonders schlecht behandeln. Sie geben, vermuten manche, dort den Druck, der auf ihnen lastet, an die Araber weiter.

Die drei Männer waren noch Kleinkinder, als ihre Familien in der „Operation Salomon“ 1991 aus Äthiopien ausgeflogen wurden. In mehreren Lufttransporten wurden innerhalb von 36 Stunden mehr als 14 000 äthiopische Juden aus Eritrea nach Tel Aviv verfrachtet. In einer zivilen Boeing 747 nahm die nationale Luftfahrtgesellschaft alle Sitze heraus und brachte mit nur einem Flug mehr als 1200 Menschen nach Tel Aviv. Sie wurden mit allem Aufwand begrüßt. In Jerusalem kam der damalige Bürgermeister Kollek in eines der Sammelhotels und brachte Spielzeug mit. Zugleich aber wunderten er und die vielen Freiwilligen sich, dass die Einwanderer, vermeintlich aus dem israelitischen Stamme Dan, nicht wussten, wie man Joghurtbecher oder Plastikflaschen öffnet. Diese Unbeholfenheit schien im Widerspruch zu stehen zu der würdigen Körperhaltung, den noblen Gesichtern über üppigen weißen Roben.

Die Tage, wo ein „Club Med“ in Aschkelon für sie geräumt wurde, sind vorbei. Viele konnten sich mit ihrem Fleiß und ihrer Anspruchslosigkeit einen Platz in der Gesellschaft erobern. Sie konnten an die erste Einwanderungswelle aus der „Operation Moses“ von 1984 anknüpfen. Aber das gelang stets nur Einzelnen, eher den jüngeren als den älteren. Und auch sie blieben meist bei ihren Familien und verließen nur selten die Nachbarschaften, in denen diese „schwarzen Juden“ weiter unter sich sind. Nach den statistischen Angaben leben die meisten äthiopischen Einwanderer in 15 „Gettos“. Die israelische Regierung will diese jetzt aufbrechen und vor allem junge Familien unterstützen, wenn sie in anderen Stadtteilen Eigentum erwerben: mit bis zu 140 000 Euro bei kinderreichen Familien. Es gibt aber auch Kritiker, die sagen, so würden die „reicheren“ Äthiopier eine Chance erhalten; Ärmere, vor allem Alte, fielen noch weiter zurück.

Die Integration stößt allenthalben auf Grenzen: ein Kindergarten in Lod wollte keine äthiopischen Kinder aufnehmen. Ein Lehrer in Rechowot wurde mit der Bemerkung zitiert: „Äthiopische Kinder stinken.“ Der Bürgermeister von Or Yehuda weigerte sich, Schwarze in der Schule seiner Kleinstadt aufzunehmen. Unvergessen ist, dass äthiopische Blutspender eines Tages nicht mehr erwünscht waren. Israelische Zeitungen sagen unverhüllt, dass - etwa in den Worten der Zeitung „Yediot Ahronot“ - „der Rassismus in unserer Gesellschaft lebendig ist und die Schwächsten“ mit aller Macht schlägt.

Dieselbe Zeitung ließ neulich den äthiopischen Publizisten Danny Adino Ababa aus Berlin berichten. Es sei für ihn symbolisch, dass er gerade auf einer Reise durch die ehemalige „Reichshauptstadt“ von den Vorfällen um die „schwarzen Juden“ erfahre. Er sei auf dem Weg zum Holocaust-Museum gewesen, als ihm von den jüngsten Vorfällen in Petah Tiqwa berichtet wurde. „Die jüngsten Ereignisse zeigen: Die israelische Gesellschaft ist unverkennbar verwandelt und offener gegenüber Rassismus geworden, und das macht Angst.“ Dass die einen von den anderen getrennt würden, von der Schule bis zum Spielplatz, sei in Berlin erst 70 Jahre her.

Wenn die israelische Gesellschaft schon mit eigenen jüdischen Gruppen so verfährt, darf es nicht wundern, wenn sich dieser „Rassismus“ auch auf israelische Araber und die Palästinenser auswirkt. 70 Prozent der Israelis wollen keine israelischen Araber in ihrer Nachbarschaft, sagt eine neue Umfrage. 55 Prozent seien dafür, die israelischen Araber mit Anreizen zur Emigration zu bewegen. Soziologen meinen, Israelis seien es gewohnt, Araber nur durch das Zielfernrohr zu sehen. Auch die israelische Kinderliteratur kenne vor allem den schlechten Araber. Israel hat keine Gesetze gegen Rassismus oder ethnische Diskriminierung wie andere Länder. Es sah sich durch die Geschichte seines Volkes wohl frei von der Gefahr, in blinden Rassismus zu verfallen.

In den Zeitungen wird über die Vorfälle berichtet, im Kabinett debattiert. Die Ministerialbürokratie verwirklicht womöglich auch Pläne, um die Diskriminierung zu überwinden. Aber zumindest bei religiösen Juden stimmen die negativ aufgeladenen Begriffe von „Diskriminierung“ und „Rassismus“ nicht. Da mag es sein, dass äthiopische Eltern für ihre Kinder eine religiöse Erziehung wünschen, die säkulare Eltern ihren Kindern vorenthalten wollen. Die Trennung mag erwünscht sein. Die ultraorthodoxe religiöse Gemeinschaft schließt sich von jeher freiwillig von der Integration aus. Dabei wirft keine Seite der anderen Rassismus vor. So wird es weiterhin in Israel Lehrer geben, die ihren Schülern das predigen, was die Welt Rassismus nennt. Unter diesen Umständen kann Rassismus oder ethnische Diskriminierung in Israel kein Strafakt sein, den Richter verfolgen. Darunter werden die israelischen Araber und die Palästinenser weiter zu leiden haben.

Der gerade einmal 14 Jahre alte Amir Schwiki will unbedingt der erste Araber sein, der beim Fußballverein „Beitar Jerusalem“ in den ersten Kader aufgenommen wird. Die Mannschaft ist dafür bekannt, dass ihre Fans „Tod den Arabern“ von der Tribüne schreien und den Propheten Mohammed verspotten. Schwiki aber war schon in einem jüdischen Kindergarten und spielt seit Jahren in der Jugendmannschaft. Sein Vater unterstützt den Wunsch. Die israelische, arabische, muslimische Familie Schwiki erhofft sich die Emanzipation in die herrschende Gruppe in Israel. So ähnlich war es schon mit vielen Juden in der Geschichte der christlich geprägten Staaten in Europa.