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Gaza

Israels Spione enttarnt

Rainer Rupp - Junge Welt

Freitag 22. Juni 2007

Das Geheimdienstarchiv des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas ist offensichtlich komplett und unversehrt in die Hände der Hamas gefallen. Die palästinensische Organisation wertet die Daten zur Zeit detailliert aus. Die mit Israel und mit den USA kollaborierende Fatah-Führung habe bei ihrer überstürzten Flucht aus Gaza in der vergangenen Woche im Hauptquartier ihres Geheimdienstes »Vorbeugende Sicherheit« sämtliches Material aus »vielen Jahren nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit« zurückgelassen, hieß es in zunächst unbestätigten Onlineberichten ehemaliger israelischer Geheimdienstler. Nun bestätigte die Hamas erstmals den brisanten Fund. Khaled Meschaal, der im syrischen Exil lebende politische Chef der Organisation, schwärmte nach jW-Informationen über den großen Coup in Gaza: »Wir haben einen wahren Schatz (an geheimdienstlichen Informationen, die Red.) gefunden.«

Hamas-Spitzenpolitiker Mahmud Al Sahar sagte am Donnerstag im Interview mit Spiegel online: »Das Gute ist, daß wir jetzt Informationen über die Feinde und Informanten ausländischer Mächte zusammentragen werden. Wir werden nach den Spionen Israels suchen.« Hamas-Kenner Azzam Tamimi vom »Institut für Islamische Politische Gedanken« in London präzisierte gegenüber junge Welt, man wisse nun im Detail über Ausmaß und Inhalt der Kollaboration der Fatah mit dem israelischen Geheimdienst Mossad und der amerikanischen CIA Bescheid. Die Sichtung werde noch etwas dauern, aber dann wolle die Hamas mit den Auswertungen an die Öffentlichkeit gehen.

Israelische und amerikanische Geheimdienstexperten befürchten, daß der Hamas nicht nur die Namen palästinensischer Spione, Doppelagenten und politischer Kollaborateure in die Hände gefallen sind. Die Hamas – und damit auch Syrien und Iran – könnte vielmehr auch detaillierten Einblick in alle Geheimdienstoperationen westlicher Staaten und Israels im Nahen Osten bekommen, in die Palästinenser verwickelt waren. Entsetzt zeigen sich diese Experten auch über das »Versagen« der israelischen Regierung, weil sie nicht rechtzeitig den Befehl zur Bombardierung und Zerstörung der palästinensischen Geheimdienstzentren gegeben habe.

Angefangen hatte alles damit, daß die zahlenmäßig weit unterlegenen, aber hoch motivierten Hamas-Militanten in der vergangenen Woche die von den USA und Israel hochgerüsteten und gut bezahlten Fatah-Kämpfer aus ihren Hauptquartieren in Gaza vertrieben. Durch kopflose Flucht taten sich dabei vor allem die korrupten Führungskräfte hervor. So blieben die Disketten und Computerfestplatten in den Geheimdienstzentralen der Fatah ungelöscht und die Akten ungeschreddert. Zugleich fühlten sich die einfachen Fatah-Kämpfer, die den Befehl hatten, bis zum letzten Mann zu kämpfen, von ihrer Führung verraten. Sie wollten nicht als zurückgelassene Märtyrer sterben. Die Hamas hatte leichtes Spiel, übernahm die Gebäude und kam an die brisante Daten. Inzwischen werden die Fatah-Kämpfer von Hamas umworben. Die islamische Organisation will in Gaza einen »Nationalen Sicherheitsdienst« aufbauen, der sich aus Mitgliedern aller politischen Richtungen zusammensetzt.

Ins Westjordanland geflohene Fatah-Funktionäre fürchten nicht zu Unrecht, daß die Hamas sie mit Hilfe der Geheimdokumente vor der gesamten arabischen Welt als Kollaborateure bloßstellt. Palästinenserpräsident Abbas und seine neue, vom Westen und Israel begrüßte Putschregierung im Westjordanland wäre restlos delegitimiert.