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Komm bete mit uns und dann erzähl uns.....!"

Wie man Kollaborateure macht*

Donnerstag 3. März 2005

Von Amira Hass

„Sechs Tage lang war ich in einem Hotel - im Beer-Sheva-Gefängnishotel. Jeden Tag konnte ich duschen, hatte gutes Essen, Snacks, Fernsehen, Obst, normale Kleidung“, erzählte D. ein junger Palästinenser aus Ramallah. Er war 40 Tage lang verhaftet und verhört worden, ab Mitte November, nachdem er 6 Tage im Beer Shefa-Gefängnis war. Erst an seinem letzten Tag dort, bevor er ins Askalon-Gefängnis verlegt wurde, wurde ihm klar, dass das „Hotel“, in dem er zunächst gehalten wurde, nicht zum regulären Flügel des Gefängnisses gehört, sondern vielmehr für die „Asafir“ , nach palästinensischem Slang „Vögel“ gedacht ist, die die Aufgabe hatten, Gefangene auszuhorchen.. Gefangene werden dorthin gebracht, wenn die Vernehmungsbeamten keinen Erfolg haben, belastende Informationen zu erhalten. Die „Vogel-Maskerade“ als reguläre Gefangene, als Kämpfer mit ruhmreicher Vergangenheit, deren Job es ist, das Vertrauen des Neuankömmlings zu gewinnen und ihm den Eindruck zu vermitteln, dass das Verhör zu ende sei, dass er das Verhör wie ein Held überstanden habe und dass er nun solange in dieser Haftanstalt bleibe, bis eine Entscheidung wegen einer Anklage oder seiner Entlassung getroffen werde. Bei dem ihm angebotenen angenehmen Bedingungen war er versucht, zu glauben, dass das Gefängnis gar keine so schlechte Erfahrung ist. Er erfreute sich der Aufmerksamkeit und der besonderen Beziehungen mit den Veteranen- „Gefangenen“. Er sprach frei und vertrauensvoll, gab naiv Informationen über andere weiter und rühmte sich "heroischer Akte, die niemals geschehen sind. Die „Vögel“ ahmen, nach Berichten entlassener Gefangener, andere Dialekte nach, um ihre wahre Identität aus anderen Regionen zu verwischen. Es sind Leute die als Kollaborateure von außerhalb rekrutiert wurden oder es waren Gefangene, die ihre Organisation im Gefängnis verlassen haben und die man geködert hat, um mit den israelischen Behörden zusammen zu arbeiten. Sie spielen eine Weile ihre Rolle, gehen ihre Familien besuchen und kommen wieder zurück.

Das sind die Schlussfolgerungen nach gesammelten Beobachtungen. Z.B. wenn Gefangene und Verhaftete aus dem Gefängnis genommen werden, um entweder vor Gericht oder vor dem medizinischen Zentrum des Gefängnisses zu erscheinen, dann bemerken sie auf einmal dieselben „Gefangenen“, die sie im Gefängnistrakt getroffen haben. Diese Gefangenen-Schauspieler warten am Tor, um „zu ihrer Arbeit“ eingelassen zu werden, um ihre Arbeitskollegen zu vertreten oder um nach Hause zu gehen.

D.’s „Vogel“ regte D. ständig zum gemeinsamen Gebet an. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht bete,“ "Sie weckten mich trotzdem jeden Morgen zum Beten auf. Dann sagten sie: Oh wir vergaßen, dass du nicht betest" . D. wurde erst am 6. Tag klar, wer sie sind, weil sie so darauf bestanden, dass er ihnen seine „militärischen“ Verbindungen und seine „militärischen“ Erfahrungen mitteilte - und genau das war es, was den Shin Bet-Vernehmungsbeamten während des Verhörs nicht gelungen war, aus ihm herauszulocken.

„Nun , ich war als Angestellter in einem der Büros des palästinensischen Sicherheitsdienstes. Aber ich hatte nie eine Waffe in der Hand und habe ganz sicher nie geschossen.“ Als es D. klar war, dass seine Zellengenossen Kollaborateure waren und es ihm auch bestätigten, nahmen sie ihn aus dem „Hotel“ und brachten ihn in eine reguläre Gefängniszelle ("Der Wärter schob mir mein Essen mit den Füßen in die Zelle") des Ashkalon-Gefängnisses. Erst hier in der Zelle mit wirklichen Gefangenen lernte er den Begriff „Asafir/ Vogel“ kennen. Frühere Gefangene schätzen, dass seitdem das Oberste Gericht die Shin-Bet-Verhörmethoden der Folter bei Verhören eingeschränkt hat, er seine Akzente, um Informationen zu sammeln, umgestellt hat und mehr Kollaborateure benutzt.. Diese „Vogel“-Technik scheint besonders gut während der letzten vier Jahre zu funktionieren. Tausende junger Menschen ohne Erfahrungen in politischen und sicher nicht in „militärischen“ Organisationen wurden zu Verhören ohne irgend eine Vorbereitung gebracht.

Unvorbereitet In den 70er und 80er Jahren versuchten palästinensische Organisationen ihre Leute auf etwaige Verhöre vorzubereiten, die sie im Zusammenhang mit Verhaftungen erwartet. Diese Informationen sickerten auch zu den Leuten durch, die keine politischen Aktivisten waren. Während der 2. Intifada jedoch wurde von der palästinensischen Autonomiebehörde kein Versuch gemacht, die Jugendlichen auf Verhöre vorzubereiten, und diejenigen, die verhaftet wurden, wiesen erstaunliche Unkenntnisse der Shin Bet-Techniken auf . Veteranen der Verhörräume hatten den Eindruck, dass ihre jungen Zellengenossen von den Verhörmethoden geschockt waren, obwohl man diese nicht mit den Folterungen der Vergangenheit vergleichen kann. D.,25, wurde in Jordanien geboren und kam mit 9 Jahren mit seinen Eltern nach Ramallah. Sie waren Flüchtlinge aus einem der von Israel 1948 zerstörten Dörfer und seit langem waren sie Mitglieder der PLO. Während des Libanon-Krieges lebten sie in Beirut, auch während des Non-Stop-Bombardement. D’s Vater hat eine ranghohe Arbeitsstelle in einem der PA-Büros. Die Familie kam als überzeugte Unterstützer des Oslo-Prozesses hierher. D. lebt noch mit seinem Bruder und seiner Schwester bei seinem Eltern. Er machte das Abitur, fand Arbeit in einem Casino und wechselte dann in ein Büro im Sicherheitsbereich. Als dies mitten in der Intifada nicht mehr funktionierte, verließ er diesen und arbeitete zusammen mit einem Freund H. als Fahrer. Nun studiert er Computerprogramm. Während eines Interviews im Haus seiner Familie erzählte er mir die Geschichte seiner Verhaftung. Einiges erzählte er zum 1. Mal. Er wäre sogar bereit gewesen, dieses Zeugnis unter seinem vollen Namen veröffentlichen zu lassen - aber seine Eltern waren dagegen.

Mitte November fuhren er und sein Freund jemanden mit dem Taxi nach Abu Dis. Als sie mittags zurückfuhren, wurden sie von Soldaten angehalten, die ihre Identitätskarten kontrollierten. Sie wurden getrennt in Jeeps weggefahren. H. mit verbundenen Augen und die Hände in Handschellen. „Ich wurde in einem 2. Jeep gefahren, die Hände in Handschellen; mein Hemd wurde mir über den Kopf gezogen, bis mein Kopf gebeugt war,“ sagte D. "Wir waren nicht weit gefahren, als wir aus den Jeeps stiegen. Ich denke, es war die Polizeistation von Maale Adumin. Ich wurde in einem abgeschlossenen Raum festgehalten, das Hemd noch über dem Kopf, der die ganze Zeit stark gebeugt war. Dann öffnete sich die Tür; es kam jemand herein und ich hörte das Klicken eines Photoapparates. Ich bin sicher, jemand wollte seiner Freundin ein Souvenir zeigen, damit sie weiß, dass er jemanden gefangen genommen hatte. An jenem Abend wurden sie ins Ofer-Gefängnis gebracht. Erst H. dann D. Drei Soldaten waren im Jeep. D.’s Hände waren gefesselt und oben an der Decke des Jeeps befestigt. Die Soldaten schlugen ihn . Als sie Ofer erreichten, sagte der Soldat, der neben dem Fahrer saß: „Keiner schlug dich.“ Bei der medizinischen Untersuchung, einer Routineuntersuchung für Neuankömmlinge, sagte D. dem Arzt, dass er geschlagen worden sei. Es wurde ein Bericht geschrieben. Ich bekam eine Schmerztablette für die Schmerzen meines Halses, nachdem ich stundenlang, den Kopf gebeugt halten musste.

Der Hauptmann schrie mich an Nach zwei Nächten wurde er ins Ashkalon-Gefängnis in den Verhörflügel gebracht, wo er von Hauptmann Sheike „begrüßt“ wurde: „Deine Freunde haben über dich ausgesagt. Du hast eine teure Uhr und ein Handy. Woher hast du das?“ "Ich lachte. Er schrie mich an und rief einen Gefängniswärter .Er nahm mich mit, um die Kleidung zu wechseln, braune Kleidung mit hebräischen Wörtern . Dann reichte mir Hauptmann Sheike einen Schrieb, auf dem auf arabisch und hebräisch geschrieben war. Er forderte mich auf, über meine Rechte zu lesen, dass ich drei Mahlzeiten am Tag erhalte und drei mal in der Woche duschen darf ua." Er wurde auf einen am Boden befestigten Plastikstuhl gesetzt, die Hände hinter dem Rücken in Handschellen. Sogar einen Monat nach seiner Entlassung hatte er in Arm- und Handgelenken noch Schmerzen. "Ich musste lange Zeit so sitzen. Ich weiß nicht wie lange. Der Hauptmann fuhr fort: „Deine Freunde haben alles über dich ausgesagt.“ Ich sagte ihm: „Ich lebte im Ausland. Ich habe immer den Frieden und das Oslo-Abkommen unterstützt“. Er sagte: „Sie sagten aus, dass du in einem Sicherheitsapparat gearbeitet hast.“ Er zeigte mir einen Beweis (Polizei-Geständnis.), der von H. unterschrieben war. Ich sagte, dass ich kein Hebräisch kann und dass ich zusammen mit H. als Fahrer gearbeitet habe. „Lügner!“ sagte er und verfluchte mich, meine Eltern und meinen Bruder. Er kam mir so nahe, dass ich sogar seine Spucke sehen konnte. Er zeigte mir ein Foto von H. und sagte: „Zuerst lachte er wie du, dann wurde er weich und sagte alles aus.“ "Noch einmal sagte ich, es gibt nichts zwischen uns, nur die Arbeit. Er hat jüdische Freunde und liebt Israel. Wenn er etwas gegen mich ausgesagt hat, dann schreiben Sie eine Anklage." Mir war kalt - also öffnete er ein Fenster, und kalter Wind wehte herein. „Kalt?“ fragte er. „Heiß!“ antwortete ich. Alle Verhörenden sind so .Es gab drei Vernehmungsbeamte: Sheike, Yuri, und Abu Rabia. Während der etwa acht Tage des Verhörs schlief ich vielleicht sechs Stunden in einer Einzelzelle. Die übrige Zeit stand ich unter Verhör. Während seines Verhörs wurde D. auf dem Computer auch Luftaufnahmen seines Wohngebietes gezeigt. Er sollte zeigen, wo genau er wohne. Eines Tages wurde er mit einem Apparat verbunden, den er als Polygraph beschrieb. "Dann stellte sich mir jemand als Professor aus Tel Aviv vor. Später fand ich heraus, dass es nur ein anderer Vernehmungsbeamter war. Er fragte mich nach meinen militärischen Verbindungen mit H. Ich kam als Lügner heraus. Aber der Polygraph war ein Lügner - oder war es etwas völlig anderes. Ich hielt in meinem ganzen Leben nie eine Waffe in der Hand . Nach dem Test mit dem Polygraphen saß ich mit Abu Rabia zusammen. Er ließ mich stundenlang nicht auf die Toilette gehen. Dann kann ich mich an nichts mehr erinnern. Auf einmal fand ich mich in der Einzelzelle wieder und dass ich mich eingekotet hatte.

Vor zwei oder drei Jahren kannte D. jemanden, der daran dachte, ein Selbstmordattentat zu begehen. Er verriet der Palästinensischen Behörde den Namen. Der Mann wurde festgenommen und später entlassen und wurde zum Flüchtling. „Bis heute ist er böse auf mich .“ "Ich hatte Respekt vor Israel - die Vernehmungsbeamten haben mich nun zum Israelhasser gemacht. Bevor ich verhaftet wurde, dachte ich, sie wüssten alles. Als sie mich aber mit hinter dem Rücken gefesselten Händen stundenlang im kalten Wind sitzen ließen, sagten sie mir, ich hätte mit einer Waffe geschossen. Ich sagte: ja! ich habe den 11. September verursacht, ich machte alle diese Angriffe. Zunächst sagten sie, sie hätten eine Menge gegen mich, ich hätte auf Juden geschossen. Ich sagte, ich habe nie eine Waffe gehalten. Sie sagten, ich sei ein Lügner, ich sei aktiv gewesen. Dann machten sie einen kleinen Rückzieher und sagten, ich hätte Flüchtlinge in der Mukata (Yassir Arafats Amtssitz) in Ramallah besucht. Ich sagte, ich besuchte meinen Vater, der in diesem Komplex arbeitet. Am Ende des Verhörs, als sie sahen, dass ich nichts auszusagen hatte, versuchten sie etwas anderes. „Du bist ein guter Fahrer. Gib wenigstens zu, dass dein Freund aus dem Wagen geschossen hat.“ Zweimal wurde ihm ein Job als Kollaborateur angeboten, erzählte D. „Wie denkst du darüber, mit uns zusammen zu arbeiten?“ fragten sie ihn. Er lehnte ab. „Abu Rabia sagte zu mir, sage ihnen, du hättest durchgehalten, du hättest nichts gesagt .... Ich sagte zu ihm: es geht nicht ums Durchhalten. Wie kann ich sagen, ich hätte durchgehalten, wenn ich nichts zu sagen habe?“

„Vierzig Tage lang war ich in Haft und unter Verhör“, schloss D. „Ohne Tageslicht. Mir wurde erst am Ende dieser Zeit erlaubt, einen Anwalt zu sehen. Am 40. Tag wurde ich entlassen. Sie warfen mich beim Checkpoint von Tarkumia (bei Hebron) raus, obwohl sie wussten, dass ich aus Ramallah bin. Wenn sie jemanden haben, der eine ID-Karte aus Hebron hat - so bin ich sicher, dass sie ihn in der Nähe Ramallahs absetzen. Das ist der Grund, warum ich sie hasse.“

(* Untertitel von der Übersetzerin)

(dt. Ellen Rohlfs)
Haaretz 15.02.05