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Junge welt - 24.10.2006

»Israel hat nicht mehr Rechte als Nordkorea«

Ein Gespräch mit Mairead Corrigan-Maguire

Montag 30. Oktober 2006

Die USA vertreten in der Frage atomarer Bewaffnung eine Doppelmoral.

* Mairead Corrigan-Maguire aus Nordirland ist die Tante dreier Kinder, die 1976 durch ein Fluchtfahrzeug von Attentätern erfaßt und getötet wurden. Sie gründete daraufhin die »Community of the Peace People«

Seit 30 Jahren arbeiten Sie mit den »Peace People« für Gewaltfreiheit. 1976 erhielten Sie dafür zusammen mit Betty Williams den Friedensnobelpreis. Was sagen Sie zu dem ersten Atomwaffentest Nordkoreas?
Ich bin gegen alle Kernwaffen und Atomwaffenversuche. Diese Waffen vernichten wahllos und massenhaft Menschen und müssen abgeschafft werden. Die Verantwortung für die Eliminierung dieser Waffen liegt vornehmlich bei den Vereinigten Staaten, die nicht nur die stärkste Atommacht sind. Sie waren auch das erste Land, das diese Waffen für seine Kriegführung eingesetzt hat.

Vor ein paar Wochen sind Sie in Israel mit Mordechai Vanunu zusammengetroffen, der das israelische Atomprogramm aufgedeckt hat und dafür 18 Jahre im Gefängnis saß. Israel gilt als nichtoffizielle Atommacht. Warum wirft US-Präsidenten George W. Bush nicht auch Israel »eine Bedrohung des Weltfriedens und der Sicherheit« vor, wie er es jüngst über Nordkorea gesagt hat?
Seit Beginn des Atomzeitalters vertreten die USA in der Frage atomarer Bewaffnung eine Doppelmoral und tun so, als seien diese Waffen für einige Nationen akzeptabel und für andere nicht. Diese Doppelmoral muß aufhören, oder sie wird zu einer Ausweitung der Atombewaffnung führen.

Warum ist das israelische Atomwaffenarsenal nie überprüft worden?
Zum einen, weil die USA Israel vor einer solchen Überprüfung geschützt haben. Das ist Teil ihrer Doppelmoral. 2004 habe ich mit dem Friedensnobelpreisträger und früheren israelischen Regierungschef Shimon Peres gesprochen. Er hat Israels Atomwaffenbesitz weder bestätigt noch geleugnet, aber er gilt als der Vater der israelischen Atombombe. Auf meine Frage, wann Mordechai Vanunu freigelassen würde, hat er Vanunu einen »Verräter Israels« genannt. Wenn Israel keine Atomwaffen besitzt, warum haben sie ihn dann fast zwanzig Jahre gefangengehalten und ihn als Bedrohung der nationalen Sicherheit bezeichnet?

Israel und Nordkorea verteidigen beide ihr Recht, Atomwaffen zur Selbstverteidigung zu entwickeln und berufen sich dabei auf das Völkerrecht. Sehen Sie einen Unterschied?
Nein, es gibt keinen. Das ist reine Heuchelei. Israel hat nicht mehr Rechte, Atomwaffen zu besitzen, als Nordkorea, die USA, Rußland oder andere Staaten.

Auf der abschließenden Beratung der Jahrestagung der Internationalen Atomenergieorganisation scheiterten mehrere arabische Staaten mit ihrem Antrag, Israels Atombewaffnung als Bedrohung des Friedens im Nahen Osten zu verurteilen, an einem Gegenantrag Kanadas. Also geht das Problem über die Politik der USA hinaus?
Israel hat mehr Freunde als nur die USA, und Washington kann mit mehr Stimmen sprechen als nur der eigenen.

Wie stehen Sie zu den Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat über Nordkorea verhängt hat?
Ich bin absolut gegen diese Sanktionen. Sie sind ein weiteres Beispiel für die Heuchelei der USA und der Vereinten Nationen. Statt diplomatische Mittel einzusetzen, werden die Sanktionen als Mittel der kollektiven Bestrafung der nordkoreanischen Bevölkerung eingesetzt, die ohnehin schon genug zu leiden hat. Auf der anderen Seite erhält Israel jährlich drei Milliarden US-Dollar Finanzhilfe aus Washingon. Das ist ein Verstoß gegen den Symington Accord, ein Gesetz, mit dem US-Regierungen daran gehindert werden sollen, Länder zu unterstützen, die jenseits internationaler Kontrolle und Vereinbarungen Atomwaffen entwickeln. Solange Israel Massenvernichtungs- und Kernwaffen besitzt, wird es im Nahen Osten keine Abrüstung geben, weil die arabischen Länder auch über diese Waffen verfügen wollen. Wenn die UNO auf Massenvernichtungswaffen in Nordkorea und anderen Ländern insistiert, aber beide Augen zudrückt, wenn es um die USA, Israel oder Großbritannien geht, dann bleibt diese himmelschreiende Doppelmoral nicht unbemerkt.

Interview: Harald Neuber / Übersetzung: Jürgen Heiser