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Berlin unter Druck

Volk denkt anders als Regierung

VON KNUT PRIES (BERLIN)

Mittwoch 26. Juli 2006

Nach einer Forsa-Umfrage finden drei von vier Deutschen, „das Vorgehen Israels im Nahen Osten“ nicht angemessen. Der Wert ist weniger aufschlussreich als der Umstand, dass nach der Angemessenheit des Vorgehens von Hamas, Hisbollah, des Iran oder Syriens gar nicht erst gefragt wird. Aus Joschka Fischers Sicht hat die schiefe Perspektive System, namentlich bei der Linken. Da habe
man keine Hemmungen, sagt der Ex-Außenminister in der Zeit, „Israel als Aggressor zu brandmarken, während die Lippen eisern versiegelt blieben, als israelische Soldaten entführt wurden oder die Raketen in israelischen Städten einschlugen“.

Für die Bundesregierung ist das ein Problem: Sie ordnet die Missetaten umgekehrt. Nach der offiziellen, mit Partnern und Verbündeten abgestimmten Lesart waren Anfang und Ursache der jüngsten Gewalt-Eskalation die Entführungen und die Raketenangriffe. Daraus ergibt sich, wie die Deeskalation zu laufen hätte: Eine Waffenruhe müsste eingeleitet werden durch Freilassung der verschleppten Soldaten und Einstellung des Raketenfeuers der Hisbollah-Milizen. An der Dynamik der Sympathie-Verschiebung der breiten Öffentlichkeit geht das vorbei.

Der Regierung macht das Sorge: „Am Anfang der gegenwärtigen Auseinandersetzung hatte Israel bei den Deutschen einen enormen Kredit“, heißt es, „der ist aber weitgehend aufgezehrt.“ Immer mehr verdecken die Bilder vom Leid der Flüchtlinge und Bombenopfer im Libanon das Bewusstsein von den Urhebern der Aggression gegen Israel. Damit schwindet aber auch das Einverständnis mit der
Bundesregierung. Sie gerät in Verdacht, sich eine dubiose
Gefügigkeit zu Gunsten der USA zu leisten.
Entwicklungshilfeministerin Heidemarie-Wieczorek-Zeul (SPD) kann sich des Beifalls für ihre Distanz zur offiziellen Linie sicher sein.

So bemüht sich die Regierung, wenigstens den Eindruck zu
zerstreuen, sie schweige, während Israel mit US-amerikanischer Rückendeckung einen massiven Einsatz im Libanon durchziehe, der weit über alles hinausgehe, was durch das Recht auf Selbstverteidigung gedeckt sei. Neben die Reihenfolge von Ursache und Wirkung tritt nun die Aufforderung an beide Seiten, auf eine möglichst rasche Waffenruhe hinzuarbeiten. Im Libanon müsse die UN-
Resolution 1559 umgesetzt werden, die unter anderem die Entwaffung aller irregulären Verbände vorsieht. Es gebe „keinen Hinweis, dass die Entwaffnung der Hisbollah durch die Israelis erfolgen soll“, sagte ein Sprecher des Außenamts.

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Dokument erstellt am 21.07.2006 um 17:00:44 Uhr
Erscheinungsdatum 22.07.2006