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Junge Welt, Zeitung

Klick, klick, klick- zwei Tote pro Nacht

Montag 26. Juni 2006

26.06.2006 / Ausland / Seite 3
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Klick, klick, klick- zwei Tote pro Nacht
Ehemaliger Kommandant der israelischen Marine berichtet von Kriegsverbrechen im Gazastreifen
Akiva Eldar *

Kapitän T. war der Kommandant eines mit Waffen ausgerüsteten Hochgeschwindigkeitsbootes der Marine. Sein Kommandeur hatte damit gerechnet, daß er eine brillante militärische Kariere machen würde. Aber bald nach dem Ende der »Operation Defensive Shield« gab T. seine militärische Ausrüstung zurück und ging nach Indien. Er kam zu einem Besuch nach Hause zurück. Seine Mutter wandte sich an die Organisation »Das Schweigen brechen«, damit diese mit ihm spricht. Seine Geschichte vom Frühjahr 2002 kann erklären, was einer palästinensischen Familie passieren kann, die an den Strand von Gaza geht, um ein paar schöne Stunden an frischer Luft zu haben. Seine Worte werden mit einigen Auslassungen zitiert:

Nach der Operation Defensive Shield fuhren zwei Boote auf die Höhe von Sudaniya im nördlichen Gazastreifen. Wir hatten Vertreter der Flotte, der Luftwaffe und der Helikopter-Einheit und verschiedener anderer Kampfeinheiten bei uns auf dem Schiff, auch Leute von Einheiten der Küste, des Nachrichtendienstes (...) Einer der ranghohen Offiziere sagte zu uns, daß die IDF (Israelische Armee) sehr extensiv handeln würde und daß er »jede Nacht zwei Tote« erwarte. »Ich wünsche wenigstens zwei tote Terroristen jede Nacht«, sagte er (...) Der Stimmung nach, war es ein Racheakt. Wir, d.h. zwei Boote, warteten etwa 2000 Meter von der Küste entfernt.

Wir machten eine Gruppe aus, die an den Strand ging - aber außerhalb unseres Zielgebietes selbst war. Etwa drei oder vier Leute saßen dort und zündeten ein Feuer an. Wir bemerkten einige Aktionen der Gruppe am Feuer. Wir hatten keine Ahnung, wer diese Leute waren, ob sie bewaffnet waren oder nicht.

Als die Marinespezialeinheit 13 signalisierte, daß sie an der Seite Waffen sehen würde, waren wir alle auf dem Boot sehr aufgeregt. Nächtelang kehrten Boote von ihrer nächtlichen Tour zurück, ohne einen einzigen Schuß abgegeben zu haben. Jetzt hatten wir die Möglichkeit. Unsere Stimmung war noch von der Aura der Operation »Defensive Shield« erfüllt und von vorausgegangenen Selbstmordattentaten (...) Ich wollte also schießen. Ich sagte mir, daß es ein »legitimes Ziel« sei. Ich war in Konkurrenz aller Ränge bis zu dem, der den Befehl gab. Wir fingen also zu schießen an. Wir schossen weiter und zielten auf so viele wie möglich, auch auf die, die die Verwundeten trugen. Es war nur problematisch, daß wir nicht wirklich wußten, wer dort um das Feuer saß. Es hätte ein jüngerer Bruder von jemandem sein können (...) wir wußten es nicht. So etwas geschah jede Nacht.

Ein anderer Vorfall passierte im südlichen Raum bei Khan Yunis. Zehn (unserer) Leute gingen in ein Gebäude. Wieder unterschied man nicht zwischen Bewaffneten und Unbewaffneten, und man wußte nicht genau, wer drin war. Dann kamen Leute aus der Umgebung, um den Verwundeten zu helfen, und in diesem Chaos schossen wir auf die in alle Richtungen fliehenden Personen, um so viele wie möglich zu treffen. Wie in einem Videospiel: klick, klick, klick. Ich wollte schießen. In meinen Augen war es legitim, etwas anderes hätte ich zurückgewiesen. Ich war wahnsinnig.

Es hätte sehr gut sein können, daß am Strand ein Zwölfjähriger saß, der mit einer Wasserpfeife auf seinen großen Bruder wartete, der von seinem Job als Wächter zurückkam. Eine solche Person ist kein legitimes Ziel. Ich denke, daß ich ein Kriegsverbrecher bin. Nehmen wir mal an, diese Leute kommen heute zu mir, während ich (im Ausland) unterwegs bin. Sie bringen mich vor den Internationalen Gerichtshof, was soll ich ihnen dann sagen? Ich weiß, daß ich einem Befehl gehorchte, der (heute) in meinen Augen illegal ist. Wenn ein Verwandter (der damals am Strand Getöteten) zu mir kommen sollte, würde ich ihm sagen: Ich bin schuldig. Ihr Kind wurde aus keinem anderen Grund getötet als dem, daß wir den Befehl hatten, jede Nacht zwei zu töten.

* Übersetzung: Ellen Rohlfs. Der Beitrag erschien zuerst in der israelischen Zeitung Haaretz